Unten im Haslital im Berner Oberland, am Fusse des Bänzlouwistocks, ist ein mächtiges Steinportal in den Berg eingelassen. Durch eine schwere Holztüre geht es in den Berg. Die Turbinen des Kraftwerks Innertkirchen 1 der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) ertönen.
Keine Mittagsruhe in diesem Jahr
Dass die Turbinen schon am Mittag auf Hochtouren laufen, ist allerdings untypisch. Das habe sich in den vergangenen Wochen ergeben, erklärt KWO-Geschäftsführer Daniel Fischlin. Normalerweise laufe die Produktion bei schönem Wetter weniger wegen der Photovoltaik. Denn dann gibt es normalerweise genügend Strom – und zwar in ganz Europa.
Doch dieses Jahr ist es anders: Die Hälfte der französischen Atomkraftwerke steht wegen Wartungs- und Reparaturarbeiten still. Zudem verstromt Deutschland aus Spargründen weniger Gas und die Flusskraftwerke liefern wegen tiefer Wasserstände weniger. «Die Nachfrage nach Strom ist gross. Wenn unsere Maschinen laufen, muss andernorts nicht thermisch produziert werden. Es wird also auch Gas gespart», so Fischlin.
«Sehr gute Situation»
Ein wichtiger Grund kommt hinzu: Weil Strom knapp ist, sind die Preise stark gestiegen. Wer jetzt liefern kann, verdient gutes Geld: «Es ist eine sehr gute Situation», sagt Fischlin und findet das Bild vom «Sechser im Lotto» stimmig. Mittelfristig würden die Preise zwar wieder sinken, doch kaum aufs Niveau der letzten sieben Jahre.
Aktuell kostet eine Megawattstunde Strom zur Mittagszeit bis zu 700 Franken. Das sind Rekordpreise. In den Vorjahren waren es 20 bis 60 Franken. Damit konnten die Wasserkraftwerke bestenfalls ihre Kosten decken. Doch jetzt profitieren die Stromproduzenten – in diesem Fall die Aktionäre der KWO: Das sind die BKW sowie die Energiebetriebe der Städte Basel, Bern und Zürich.
Allerdings können die Energieunternehmen nicht alles Wasser vergolden. Denn viele Stromlieferverträge wurden vor Monaten oder Jahren zu viel tieferen Preisen abgeschlossen. Diesen Strom müssen sie liefern.
Mit vollen Seen ist gut lachen
Der Weg zur KWO-Leitzentrale führt durch saftig grüne Matten. Das zeigt bereits, dass hier kein Wassermangel herrscht und erklärt, warum überhaupt so viel Strom produziert werden kann. «Unsere Speicherseen sind zum heutigen Zeitpunkt sehr gut gefüllt», stellt Fischlin fest.
Je nach See gibt das grosse Übersichtsschema Füllstände von 80 bis 95 Prozent an. Zu tun hat das mit der umliegenden Bergwelt und der Hitze, denn dieses Jahr hat viel Schmelzwasser aus Gletschereis die Seen gefüllt. Doch das ist längst nicht überall so: In Stauseen ohne Gletscherzufluss hat es viel weniger Wasser, etwa im Tessin und den Südtälern der Alpen. Dort ist fraglich, ob sie bis Anfang Winter voll sein werden.
Reserven im Auge – und ein bisschen Spekulation
Darüber muss sich KWO-Geschäftsführer Fischlin keine Gedanken machen. Für ihn und die Aktionäre stellt sich mehr die Frage, wie das Wasser eingesetzt werden soll: «Eine gewisse Reserve wird schon jetzt gebildet. Trotz sehr hoher Preise sind unsere Seen gefüllt. Man produziert also nicht auf Teufel komm raus.»
Trotz sehr hoher Preise sind unsere Seen gefüllt. Man produziert also nicht auf Teufel komm raus.
Das hat neben den langfristigen Lieferverträgen auch mit dem Bund zu tun, der zur Bildung von Wasserreserven aufgefordert hat für den Fall, dass der Strom knapp werden sollte. Die Lieferanten halten aber auch aus finanziellen Überlegungen Wasser zurück: Denn wenn Strom im Winter wirklich knapp ist, sind die jüngsten Preissteigerungen erst der Anfang.