Hans-Ruedi Schürch ist seit über 30 Jahren SBB-Lokführer. Er leistet seit Jahren viel mehr, als er müsste: «Wir treiben eine Bugwelle von Arbeitszeit vor uns her, die schon ein paar Dutzend Mannjahre ausmacht. Die müssen wir irgendwann abbauen».
Die SBB hat vergangenen Herbst bekannt gegeben, dass sie bis in sechs Jahren rund 1000 neue Lokführerinnen und Lokführer benötigt. Was sie nicht sagte: Das sind fast 30 Prozent des Gesamtbestandes.
Zu dünne Personalreserve
SEV-Gewerkschafter Hans-Ruedi Schürch warnt die SBB seit langem vor einem Unterbestand und zweifelt auch an den Bestandszahlen, welche die SBB seiner Gewerkschaft regelmässig mitteilen: «Wir haben nie recht gewusst, wie sie gerechnet haben und fanden, dass dieser Bestand so nicht sein kann. Sonst würden sie nicht dauernd nach Personal suchen».
Die SBB gesteht Fehlplanungen ein. Vor allem 2019 sei man überrascht worden, sagt Claudio Pellettieri, Leiter Zugplanung und Rangier SBB: «Die geplanten Abgänge, die anstehenden Pensionierungen hatten wir in der Planung berücksichtigt. Mehrleistungen hatten wir aber ganz klar zu defensiv geplant. Zum Beispiel Events. Und damit die Auswirkungen auf den Tourenplan der Lokführerinnen und Lokführer.»
2019 haben die SBB tatsächlich so viele Sonderfahrten geleistet wie noch nie. Diese machen allerdings nur wenige Prozent der gesamten Fahrleistung aus. Aber sie liessen die ohnehin knappen Lokführer-Reserven offenbar rasch schmelzen.
Erst im vergangenen Jahr hat die SBB ihre Lokführer-Ausbildung intensiviert: mehr und grössere Klassen.
Doch strukturelle Probleme sind damit nicht behoben. Zum Beispiel die Einsatzmöglichkeiten, sagt Walter von Andrian, Chefredaktor der Schweizer Eisenbahnrevue: «Lokführer sind heute nicht mehr polyvalent einsetzbar. Es gibt immer mehr Fahrzeugtypen, sodass einer nur diesen Zug fahren kann, der andere nur jenen. Sie haben auch keine umfassende Streckenkenntnis mehr.»
Lokführer im Leiharbeitsverhältnis
Bedarfsspitzen müssen die SBB bereits heute mit zugemieteten Lokführern abdecken. Diese mietet sie von privaten Unternehmen wie MEV in Basel.
Den Systemführer der Schweizer Bahnbranche als Kunden zu haben, zahlt sich für Geschäftsleiter Tommaso di Benedetto aus: «Für uns ist es ein Segen. Wir können den SBB als akkreditierter Dienstleister lösungsorientiert helfen».
Das Unternehmen bildet jährlich bis zu 60 Anwärterinnen und Anwärter aus. Die meisten arbeiten bereits als Lokführer in Nachbarländern.
Für die Umschulung eines ausländischen Lokführers investiert MEV bis zu 120'000 Franken. Mieten die SBB einen Lokführer, kostet sie das pro Arbeitstag zwischen 800 und 1200 Franken.
Claudio Pelletieri relativiert: «Natürlich sind das gewisse Kosten, gedacht für die Abdeckung von Bedarfsspitzen. Es ist aber nicht die grosse Menge».
Berufsbild hat Schaden erlitten
Ein ausgetrockneter Arbeitsmarkt und Fehlplanungen sind zwei Gründe für den SBB-Lokführermangel. Es gibt noch einen weiteren: die Abwertung des Berufsbildes «Lokführer».
Mit Sprüchen wie jenem vom «führerlosen Zug» beispielsweise. «Wenn man den Leuten suggeriert, euch braucht es in ein paar Jahren nicht mehr – was eigentlich keiner glaubt, der etwas von Eisenbahn versteht – dann findet man auch niemanden, der das mit Herzblut macht», so Walter von Andrian.
Die SBB geht davon aus, dass sich die Lage bei den Lokführern erst 2022 wieder entspannt.