Gewinn ist gut – mehr Gewinn ist noch besser: So funktioniert der Kapitalismus. Und wenn ein Unternehmen Rekordgewinne macht wie Amazon, ruht es sich nicht auf den Lorbeeren aus. Es will mehr. Mehr Umsatz.
Amazon will deshalb seine besten Kunden noch schneller beliefern, nämlich innert 24 Stunden. Doch der US-Konzern ist nicht allein. Auch in der Schweiz werben immer mehr Onlineversandhäuser mit dem Versprechen, Waren sogar noch am gleichen Tag zu liefern.
Aber entspricht der Slogan «Höher, schneller, weiter» wirklich dem Bedürfnis der Kunden? Oder bestimmen die Unternehmen unser Konsumverhalten? Mit eben diesen Fragen beschäftigt sich der Ökonom Niko Paech. Er glaubt nicht, dass solche Kundenbedürfnisse tatsächlich existieren: «Sie werden von den Konzernen geweckt.»
Sich per Mausklick mit Konsumgütern einzudecken, die postwendend vor der Haustüre stehen, sei zwar verführerisch. «Aber die Beschleunigung aller Konsumaktivitäten trägt überhaupt nicht zur Wohlfahrt der Menschen bei.»
Alles was wir brauchen – und noch viel mehr
Wir würden schon heute derart viel konsumieren, dass uns gar nicht mehr die «psychischen Kapazitäten» zu Verfügung stünden, um all dies sinnstiftend zu nutzen. Paech warnt: «Uns droht ein Konsum-Burnout.»
Symptome dafür sieht der Ökonom, wenn unsere Keller und Wohnungen vor wahllos zusammenkauften Gütern überquellen. Ohne, dass wir uns wirklich damit beschäftigen: «So stiften die Dinge keine Freude.»
Die Folge: Wir hetzen von einem erkauften Gut zum nächsten, ohne uns daran zu erfreuen. Die einzelne Konsumverrichtung werde, wie es Paech ausdrückt, immer flüchtiger ausgeführt. «Und diese Flüchtigkeit ist der Todfeind des Genusses.»
Wir konsumieren Waren, wie Heroinabhängige ihren Stoff konsumieren, um irgendwie über den Tag zu kommen.
Paech rät zwar nicht zur Askese. Konsum sei richtig und wichtig. «Aber die Dosis macht das Gift. Wir müssen massvoller leben – und das ist eine Kunst.» Es gelte, die richtige Balance zwischen den Errungenschaften der Moderne und unserer Verantwortung zu finden – gegenüber unserem Geist aber auch der Umwelt: «Wir wären damit viel freier und weniger abhängig von den grossen, marktmächtigen Konzernen.»
Die «Postwachstums-Ökonomie»
«Wachstum» heisst das Mantra der modernen Marktwirtschaft. Das Plädoyer des deutschen Ökonomen steht dazu im Widerspruch. Lässt sich ein massvolleres Konsumverhalten überhaupt mit einer funktionierenden Wirtschaft vereinbaren?
Die Wachstumszwänge einer modernen Ökonomie müssten überwunden werden, fordert Paech. Der wichtigste dieser Zwänge sei die Konsumgesellschaft selbst: «Wir konsumieren Waren, wie Heroinabhängige ihren Stoff konsumieren, um irgendwie über den Tag zu kommen.»
Weder die Politik noch Maschinen könnten unser Konsumverhalten neu justieren: Wir selber seien gefordert, sagt der Ökonom. «Wir müssen eine Gegenkultur zur Konsumkultur schaffen. Friedlich, fröhlich, konfrontativ.» Auch in der Schweiz gebe es bereits kleinere Gruppen und Projekte, die an dieser «Postwachstums-Ökonomie» arbeiteten: «Das ist die Ökonomie der Zukunft.»