Thomas Jordan, der Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), musste sich in den letzten Jahren immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, ihm seien ja die Hände gebunden. Er sei in Geiselhaft der EZB, könne keine autonome Geldpolitik machen und er könne erst nach der EZB den Leitzins anheben.
Dahinter steckte eine berechtigte Sorge: Ein attraktiverer Schweizer Zins könnte noch mehr Investorinnen und Investoren anlocken, und dadurch könnte sich der ohnehin schon starke Franken weiter aufwerten.
Mutiger als von vielen erwartet
Heute hat das dreiköpfige Direktorium der SNB demonstriert: Es geht doch. Sie haben ihren Leitzins überraschend früh und stark angehoben. Dass die Währungshüter damit der EZB vorauseilen, hätten ihr die meisten Expertinnen und Experten bis zuletzt nicht zugetraut.
Möglich wurde dieser Schritt, weil schon jetzt als so gut wie sicher gilt, dass die EZB ihren Leitzins im Juli ebenfalls ein erstes Mal anheben wird. Die Finanzmärkte haben dies bereits «eingepreist», wie es im Jargon heisst: Sprich, die Kurse haben die Zinswende in der Eurozone bereits vorweggenommen. Das hat der SNB Luft verschafft.
Zusätzlich geholfen hat sicherlich, dass am Vorabend auch die amerikanische Notenbank FED ihren Leitzins ein weiteres Mal kräftig angehoben hatte. So war die Bahn für die Zinswende in der Schweiz frei: Das Direktorium hat diese Gelegenheit beim Schopf gepackt und damit viele überrascht.
Frühzeitiges Eingreifen soll Schweiz schützen
Die Zinserhöhung hat tatsächlich etwas Mutiges – nicht nur bezüglich Timing, sondern auch bezüglich Umfang. Die SNB hätte die Zinsen auch weniger stark anheben können, etwa um 25 statt 50 Basispunkte. Doch mit ihrem Entscheid markiert sie Entschlossenheit. Ihre Kernbotschaft ist unmissverständlich: Wir meinen es ernst im Kampf gegen die Inflation!
Die Rechnung könnte aufgehen: Während die amerikanische und die europäische Zentralbank bereits ausgeuferten Inflationsraten von 8 bis 9 Prozent hinterherrennen, handelt die SNB zu einem guten Stück proaktiv. Sie hat die besseren Chancen, ihrem Mandat, für stabile Preise zu sorgen, auch gerecht zu werden.