295'000: So viele über 65-Jährige leben in der Schweiz aktuell an der Armutsgrenze. 46'000 von ihnen sind gar ausweglos arm, haben also nicht genug Erspartes, um ihr bescheidenes Einkommen zu kompensieren. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Pro Senectute Schweiz.
Im Ausland musste ich die Jobs annehmen, die ich bekommen konnte und kam finanziell nie mehr auf einen grünen Zweig.
«Für 86 Prozent der Rentnerinnen und Rentner schafft das Drei-Säulen-System finanzielle Sicherheit – das ist aber auch die einzige gute Nachricht», sagt Alexander Widmer, Studienverantwortlicher und Geschäftsleitungsmitglied bei Pro Senectute. Denn die restlichen 14 Prozent müssen von gut 2200 Franken monatlich leben. Dieses Geld muss reichen für Miete, Krankenkasse, Steuern, Kleider und Essen.
Altersarmut hat viele Gesichter
Einer von ihnen ist auch Michel Mortier. Dem 87-jährigen Rentner aus dem Kanton Zug bleiben nach Abzug von Miete und Krankenkasse rund 600 Franken pro Monat zum Leben. Für die Liebe zu seiner afrikanischen Frau hat der studierte Chemiker vor vielen Jahren die Schweiz verlassen – auf Kosten der finanziellen Sicherheit im Alter: «Ich hatte eine sehr gute Stellung hier bei einer amerikanischen Firma. Die habe ich aufgegeben und ging dann ins Ausland, mit praktisch gar keinen finanziellen Reserven», sagt Mortier. «Danach musste ich die Jobs annehmen, die ich bekommen konnte.» Finanziell kam er so nie mehr auf einen grünen Zweig.
Neben seinen Söhnen unterstützt ihn auch Pro Senectute finanziell. Denn mit seinen Rentenzahlungen und den AHV-Ergänzungleistungen alleine käme er nicht über die Runden.
Besonders gefährdet, im Alter in die Armutsfalle zu tappen, sind Personen mit niedrigem Bildungsniveau und Migrationshintergrund. Frauen sind häufiger betroffen als Männer und die Landbevölkerung eher als die Städter. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Armut wird vom privaten Umfeld abgefedert. Die Dunkelziffer dürfte somit um einiges höher liegen, schätzt Pro Senectute. Hinzu kommt, dass Altersarmut nach wie vor ein Tabuthema ist – die Betroffenen scheuen sich, darüber zu sprechen.
Das müsse sich ändern, sagt Alexander Widmer. «Es darf keine Stigmatisierung mehr geben. Das heisst, wer betroffen ist, muss Hilfe suchen können.» Auch brauche es dringend eine Reform der zweiten Säule im Tieflohn Sektor und im Bereich der Teilzeitbeschäftigung. Zudem müsse die Bevölkerung sensibilisiert werden, sich bereits früh mit der Altersvorsorge auseinander zu setzen.
Es darf keine Stigmatisierung mehr geben. Das heisst, wer betroffen ist, muss Hilfe suchen können.
Zeit sinnvoll einsetzen
Das ist auch das Ziel von Michel Mortier. Kürzlich ist seine Frau verstorben. Der Pensionär möchte seine Zeit einsetzen, um Betroffenen zu helfen und die Altersarmut offen zu thematisieren. An seinem Wohnort Zug plant er, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Damit möchte er etwas von dem zurückgeben, was er in seiner Situation an Unterstützung erfährt: «Mit unserer Zeit und Erfahrung können wir sehr viel beitragen. Und uns die Ergänzungsleistungen ein Stück weit verdienen.» Vielleicht bleibt so dem einen oder der anderen ein ähnliches Schicksal erspart.