Die Energiekommission des Nationalrats hat sich am Dienstag mit 15 zu 4 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) für eine vollständige Liberalisierung des Strommarktes ausgesprochen. Private Haushalte und kleine Unternehmen sollen frei wählen können, bei welchem Anbieter sie ihren Strom beziehen. Heute gilt das nur für Grossverbraucher aus der Industrie.
Nur: Die Gewerkschaften stellen sich quer. Schon vor 15 Jahren haben sie die Öffnung des Marktes verhindert. Beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund ist Dore Heim zuständig für die Energiepolitik. Für sie heisst freie Wahl nicht günstigere Preise für Kleinkunden – im Gegenteil.
SRF News: Warum wehrt sich der Gewerkschaftsbund gegen eine vollständige Liberalisierung des Strommarktes?
Dore Heim: Zurzeit sehen wir, dass die grossen Stromkonzerne in der Krise sind. Das geht teilweise auf Fehlinvestitionen zurück, die sie selber verschuldet haben. Teilweise liegt es aber auch daran, dass sie den Strom nur an Grosskunden verkaufen, zu sehr, sehr tiefen Preisen. Im Gegensatz dazu geht es den kleinen Elektrizitätswerken, eben den Stadtwerken, recht gut. Denn sie können den Strom noch immer zu festen Preisen an die Kleinkunden, sprich die Haushalte, verkaufen. Diese sollte man nicht gefährden.
Wenn jetzt aber Familien, Einzelpersonen oder auch kleine Unternehmen Geld sparen könnten, was wäre so schlecht daran? Wenn sie frei entscheiden könnten, könnten sie ja einfach dem günstigsten Anbieter den Vorzug geben?
Das glauben wir eben nicht. Schauen Sie sich an, wie sich die Strompreise für die Haushalte in Europa entwickelt haben: Dann sehen Sie, dass wir in der Schweiz im Durchschnitt tiefere Strompreise für die Haushalte haben, als in anderen Ländern, in denen die Vollliberalisierung eingeführt wurde.
Diese abnormal tiefen Preise, die die Grosskunden bezahlen, werden nie so bei den Haushalten ankommen.
Das hat auch damit zu tun, dass (bei einer Vollliberalisierung, Anm. d. Red.) ein massiver Konkurrenzkampf unter den Elektrizitätsunternehmen beginnen würde. Diese Kosten für Marketing, Administration bis hin zur Planungsunsicherheit, die auf die Unternehmen zukommen würde, müssten letztlich bezahlt werden. Und das würde alles auf die Kleinkunden zurückfallen.
Diese Kleinkunden vergleichen womöglich mit den Grosskunden aus der Industrie, die seit 2009 frei wählen können, bei wem sie ihren Strom beziehen. Ist es denn gerecht, wenn Privathaushalte das nicht können?
Diese enorm, ja abnormal tiefen Preise, die die Grosskunden bezahlen, werden nie so bei den Haushalten ankommen. Als Grosskunde haben sie ein ganz anderes Druckmittel in der Hand. Wir wissen, dass im Moment Strom an Grosskunden verkauft wird, der die Produktionskosten beim Elektrizitätsunternehmen nicht einmal mehr deckt. Ein solches Druckmittel hätte ein kleiner Haushalt niemals in der Hand. Also würde dieser immer höhere Preise bezahlen müssen als ein Grosskunde.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.