Von Reto Lipp
Wirtschaftsjournalismus ist immer eine Gratwanderung. Für den einen Zuschauer sind Beiträge zu wenig kritisch und zu wirtschaftsfreundlich, für andere sind sie schnell einmal übertrieben negativ. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns auch bei «ECO» täglich. Wie kritisch darf ein Beitrag sein, bis er kippt?
Die Zuschauer haben ein sehr feines Sensorium dafür und finden oft, dass Journalisten zu negativ berichten. Ich selbst habe zum Beispiel am meisten Kritik erhalten, als ich auf dem Höhepunkt der UBS-Krise den damaligen Verwaltungsratspräsidenten Peter Kurer im Studio interviewt hatte. Ich bin Peter Kurer ein oder zwei Mal ins Wort gefallen, da er sehr lange und ausführliche Antworten gab (zum Interview vom 17.11.2008). Ich meinerseits durfte die vorgeschriebene Sendezeit nicht überschreiten. Das hatte genügt, um einige kritische E-Mails und Briefe von Zuschauern auszulösen. «Machen Sie mal einen Knigge-Kurs in Sachen Höflichkeit», hiess es da. Oder: «Sie sind wohl mit dem Flugzeug durch die Kinderstube gebraust». Einige Zuschauer goutieren es nicht, wenn Gäste unterbrochen oder zu hart angefasst werden.
Wie kritisch gehen Chefs mit anderen Chefs im Interview um?
Um einmal die Rollen zu tauschen, haben wir uns am diesjährigen SEF zu einem Experiment entschieden. Was passiert, wenn gestandene Unternehmenschefs plötzlich in die Rolle von Journalisten schlüpfen und Interviews führen? Welche Fragen würden Chefs ihren Kollegen in anderen Konzernen stellen? Werden die Fragen völlig anders sein als jene von Journalisten? Und wie kritisch gehen Chefs mit anderen Chefs im Interview um?
Das wollen wir am SEF 2014 in Interlaken testen, und gleich zwei Unternehmer haben sich für das Experiment «Rollentausch» zur Verfügung gestellt. Gabriela Manser von der Mineralquelle Gontenbad hat ihr Familienunternehmen mit «Flauder» zu einem schweizweit bekannten Unternehmen gemacht. Ihre Firma steht für Nachhaltigkeit und kreative Nischenlösungen. Sie wird am SEF nun Zweifel-Chips-Chef Mathias Adank interviewen, dessen Firma rund 10 Mal mehr Mitarbeiter hat als jene von Manser. Wichtig sind ihr vor allem Fragen über Nachhaltigkeit und wie man Werte in einem KMU den Mitarbeitern an der Front weitergibt, sagt Gabriela Manser im Vorfeld ihres Interview-Einsatzes.
Der zweite Rollentausch wird vermutlich ganz anders, aber mindestens ebenso interessant. Stadler-Rail-Chef Peter Spuhler, der gerade einen Grossauftrag der SBB ergattert hat, wird sich den UBS-Schweiz-Chef Lukas Gähwiler vornehmen. Spuhler war selbst jahrelang Mitglied des UBS-Verwaltungsrates und kennt die Bank sehr gut. «Ich werde ihn auf den Grill legen», verspricht Peter Spuhler. Ob er das wirklich so umsetzt?
Für einmal kann ich mich am SEF also kurz zurücklehnen und meine neuen «Kollegen» arbeiten lassen. Ich bin gespannt, welche Fragen Gabriela Manser und Peter Spuhler im Köcher haben. Natürlich werde ich sie nach ihrem Interview-Einsatz wiederum befragen. Dann interessiert mich, wie sie sich beim Rollentausch gefühlt haben – und ob der Journalismus eine neue Karriere-Alternative wäre.