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Ex-Avenir-Suisse-Vordenker Thomas Held.
Legende: Ex-Avenir-Suisse-Vordenker Thomas Held. SRF

Swiss Economic Forum 2014 Thomas Held: Wie die Initiativen-Flut die Wirtschaft beeinflusst

Wird die direkte Demokratie für die Schweizer Wirtschaft zum Stolperstein? Warum beteiligt sich die Wirtschaftselite nicht stärker an der Politik des Landes? Thomas Held legt am SEF 2014 seine Sichtweise dar.

SRF News Online: Vorlagen wie die Masseneinwanderungs- oder die Abzockerinitiative werden plötzlich mehrheitsfähig. Das war früher undenkbar. Was ist passiert?

Zur Person

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Thomas Held ist Soziologe, Manager und Lobbyist. Er war in der 68er-Bewegung als Studentenführer in Zürich aktiv. Später forschte und lehrte er an den Universitäten Zürich, Wien, Stanford und Berkeley. Von 2001 bis 2010 war Held Direktor der Denkfabrik Avenir Suisse. Held ist regelmässiger Teilnehmer des SEF.

Thomas Held: Unabhängig vom Inhalt wollen viele mit der Zustimmung zu solchen «Initiativen des Unbehagens» ein Zeichen setzen. Quasi im Stil einer spontanen Facebook-Frage: Daumen rauf oder runter. Dass am fraglichen Sonntagabend dann ein Wortlaut in der Verfassung steht, der kaum umgesetzt werden kann oder – wie bei Minder – nichts bringt ausser Kosten, scheint viele nicht zu kümmern.

Die Wirtschaft wird sich noch einige Zeit in den Nachwehen des Abstimmungsergebnisses zur Masseneinwanderungsinitiative befinden. Offenbar will zumindest ein Teil des Volkes weniger Zuwanderung und damit weniger Wachstum. Warum ist es eigentlich so schlimm, weniger zu wachsen?

Die Wohlfahrtsstaaten westlicher Prägung mit ihren Sozialsystemen und öffentlichen Leistungen beruhen auf einem vernünftigen Wirtschaftswachstum. Bleibt dieses aus, nehmen die Verteilungskämpfe zu. Aus diesen gehen meist die Ärmeren als Verlierer hervor. Die Wachstumskritik ist oft sehr elitär und unsozial. In der reichen Schweiz ist die «Illusion vom Wohlstand ohne Wachstum» verbreitet, wie dies der Ökonom Silvio Borner einmal genannt hat. Man vergisst, dass man rasch ärmer wird, wenn man einfach das Kapital aufbraucht, anstatt es zu investieren.

Ein anderer Grund für die Annahmen solcher Initiativen könnte bei der Wirtschaftselite selbst liegen. Sie hat sich abgekoppelt vom Volk.

Die These ist problematisch, weil sie sozusagen einen bösen Willen der Wirtschaftselite unterstellt. Aber eher strukturelle Gründe haben die Distanz gefördert. Zum einen erlauben die professionellen Anforderungen an das Führungspersonal oft kein regelmässiges Engagement in lokalen Organisationen wie Vereinen, der Gemeinde oder gar dem Militär. Das gilt vor allem für die international tätigen Leute. Zum anderen wirken in den Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen viele Ausländer mit – entsprechend der internationalen Streuung des Aktionariats. Manche dieser ausländischen Wirtschaftsführer haben starke Bindungen zur Schweiz. Die Schweizermacher müssten sich vermehrt diesen an der Schweiz interessierten Eliten zuwenden. Und schliesslich vergisst man bei der Diskussion um den Graben zwischen Wirtschaftselite und Volk eines – die Demographie. Die Zahl der Pensionierten nimmt sehr rasch zu. Die «Alten» beteiligen sich zwar politisch überproportional, sind aber in keinen Betrieb integriert und stehen deshalb Arbeitgebern und Chefs, ja der «Wirtschaft» insgesamt fern. Diese Situation gab es früher nicht.

Heute werden sehr viel mehr Initiativen lanciert als früher. Aktuell stehen Vorlagen wie Ecopop, die Erbschaftssteuer-Initiative oder die Initiative gegen die Bilaterale vor der Tür. Gut oder schlecht für die Wirtschaft?

Die Inflation der Initiativen ist nicht einfach «für die Wirtschaft» schlecht, sondern stellt eine Herausforderung für das gesamte politische System dar. Der historische Vergleich zeigt, dass die Bundespolitik und auch die Verwaltung auf Dauer eine solche Flut kaum verarbeiten können. Hinzu kommt eine Art Roulette-Faktor, der von den Medien zusätzlich gefördert wird: Noch die verrückteste Idee hat theoretisch die Chance, zu gewinnen. Aus Sicht der Wirtschaft stellen selbst diese so genannt chancenlosen Initiativen wie zum Beispiel die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen einen Kostenfaktor dar – weil man es sich nicht leisten kann, nicht dagegen anzutreten. Im Grunde zahlt die Wirtschaft via ihre Verbände dank der Initiativflut eine zusätzliche Steuer.

Wie müsste das System geändert werden?

Die Kosten für Initiativen, und bedingt auch Referenden, sind aufgrund der Kommunikationsmöglichkeiten stark gefallen. Sie müssten entsprechend erhöht werden. Es gibt keinen Grund, die geforderten Unterschriftenzahlen nicht der Bevölkerungsentwicklung anzupassen.

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