Jedes Mal davor denkt er, das ist nun sein letztes, sein allerletztes Mal, dass er mitmacht. Beat Beyeler (54), Koch, sorgt zwei Tage lang für die Kulinarik am SEF. 1300 Gäste sind in Interlaken. Die Wirtschaftsbosse, die Politiker, die Journalisten, sie haben einen «probierfreudigen und verwöhnten Gaumen». So sieht das Beyeler. Die Erwartungen an ihn sind hoch.
Kontrollieren, kommentieren
Er ist nervös. In einer Stunde treffen die ersten Teilnehmer ein. Man sieht es ihm nicht an, die vielen Gedanken, die ihm durch den Kopf schiessen. Beyeler lächelt, spricht leise, zupft hier ein Tischtuch zurecht, rückt dort die Teller etwas nach rechts.
Beyeler ist heute um 6 Uhr aufgestanden, im «Rohrmoos» beim Thunersee. Hier im alten, ehrwürdigen Säumerhaus begrüsst er sonst seine Gäste. Hier bereitete er mit seinen Angestellten einen Teil der Speisen vor, wusch und rüstete das Gemüse, marinierte und portionierte den Fisch, rührte die Crèmes an. Alles ist parat. Alles?
Im Auto geht Beyeler den Ablauf nochmals durch. Es darf nichts schiefgehen. Heute scheint auch noch die Sonne, ausgerechnet. Der Stehlunch und das Barbecue am Abend werden drinnen stattfinden. Er und seine Crew hatten mit Regen, mit Gewitter gerechnet. Drei Tage vor dem Anlass musste er entscheiden, wo gegessen wird.
Mut zum Machen lassen
Für ungenaue Wettervorhersagen kann Beyeler nichts. Und auch alles kontrollieren liegt nicht drin. «Unmöglich bei diesen Mengen.» Er muss seinen Helfern vertrauen. Normalerweise hat er fünf Mitarbeiter unter sich, jetzt sind es deren 150. Zumeist sind sie jung – Schüler der Hotelfachschule.
Mit den Leuten an den Schlüsselstellen arbeitet er schon seit Jahren zusammen, aber von den Schülern kennt er nur die wenigsten. Ein Risiko? «Nein, ich arbeite gerne mit den Jungen zusammen, die sind neugierig, die kann man formen.» Nur etwas geht Beyeler gegen den Strich: «Einige Wenige meinen manchmal, sie wissen alles besser.» Denn eines hat er ganz bestimmt nicht: Zeit für Diskussionen. Nicht an diesem Anlass.
Keine Schaumschlägerei, dafür Scholle
Lange Pausen gönnt sich Beyeler keine, 20 Stunden wird er heute auf den Beinen sein, mindestens. Mal kurz einen Kaffee oder ein Wasser trinken, dann geht’s weiter, im Laufschritt. Eben ruft ein Mitarbeiter der Swisscom an. Die Schalen für die Feuchttücher fehlen an ihrem Promotion-Stand. Und bei den Visagisten steht die Kaffeemaschine am falschen Platz.
Probleme und Problemchen werden im Zehnminuten-Takt an ihn herangetragen. Beyeler stellt auch sich selbst neue Aufgaben: Wenn es warm ist, essen die Leute um die Hälfte weniger, weiss er, dafür trinken sie um so mehr Alkoholfreies. Er wird heute Abend mehr Getränke bestellen müssen, wahrscheinlich.
Auf den Tischen steht der Hackbraten bereit. Keine Filets, keine Entenbrust, nein, Hackbraten nach Grossmutters Art. Das ist Beyeler. «Ich glaube, dass solche Top-Leute schon genug Filets gegessen haben. Ich biete ihnen mehr, zurück zum Ursprung, zum Urchigen.» Entsprechend der Wein: Er kommt vom Bieler Seeland. Das SEF wird als Schweizerischer Anlass angepriesen. Auch wenn die geladenen Redner aus aller Welt kommen – auf der Teilnehmerliste dominieren Schweizer Namen, das Who is who der Schweizer Wirtschaft.
Häppchen fürs Herz
Und wer den Hackbraten nicht mag? Da gibt’s auch noch Damhirsch, oder die Forellen. Die Fische kommen vom Blausee. Blattspinat schmückt die Seite des Forellen-Häppchens, in Butter, Zwiebeln und Knoblauch gezogen. Hinzu kommt etwas Meerrettichschaum, ein Hauch Schärfe. Das Blätterteig-Gebäck, das Gegengewicht zum Fisch, ist knusprig und noch warm.
Es ist Essen, das glücklich macht. Man kaut etwas länger als sonst, spürt gerne nochmals die Aromen, die verschiedenen Konsistenzen auf der Zunge, bevor man schluckt.
Die Kasse wird klingeln
Der Anlass ist für Beyeler beste Werbung. Seinen Schriftzug oder seine Visitenkarten sucht man allerdings vergeblich. Das brauche er nicht. Noch nie in den zwölf Jahren am SEF hat er Kärtchen verteilt. «Wozu? Wer mich finden will, der findet mich.»
Sagt es und hetzt in die Küche. Die Teilnehmer geniessen die Mittagshäppchen, Beyeler denkt schon an den Abend. Er kontrolliert das Fleisch fürs Barbecue. Auch die Asche der Villiger-Zigarren steht bereit – sie kommt auf die Whisky-Glacé. «Ein bisschen Gesprächsstoff muss sein, an so einem Anlass.» Beyeler verharrt einen Augenblick, ist zufrieden mit dem, was er sieht. Das Telefon klingelt, er muss weiter.
Die Aufgabenliste ist noch lang.
Der Tag wird für Beyeler um 3 oder 4 Uhr morgens enden, wie immer. Und wie immer, wird er nicht in Interlaken übernachten, sondern nach Hause fahren, in sein Rohrmoos. Und wie immer, wird er sich ganz am Schluss noch ein Bier gönnen. Um 6 Uhr muss er wieder aufstehen. Das ist in drei Stunden.