In der grossen Messehalle in der italienischen Stadt Parma riecht es nach gebackenem Teig. Männer und Frauen mit Schürzen und mehligen Händen diskutieren, lachen oder schieben Karren voll Pizzazutaten vor sich her. 770 Pizzaioli und Pizzaiole aus 40 Ländern machen mit am «Campionato mondiale della pizza», an der Pizza-Weltmeisterschaft.
In der Mitte der Halle, in einer Art Arena stehen rund 20 Pizza-Öfen. An Tischen vor diesen Öfen bereiten die Pizzaioli und Pizzaiole ihre Pizze zu, streng beobachtet von einer Jury. Und weitere Jurymitglieder dürfen die Kreationen verkosten und beurteilen.
Mitten im Trubel bearbeitet auch Biagio Fazzi sorgfältig seinen Teig, breitet ihn mit den Fingerspitzen aus und verteilt die Tomatensauce. Er sei «1000 Prozent» nervös, sagt er lachend. Fazzi ist Italiener, aber in Thun geboren. Nach seiner Lehre als Koch in Italien ist er in die Schweiz zurückgekehrt. Seit einigen Jahren ist er mehrfach ausgezeichneter Master-Pizzaiolo und will nun um den WM-Titel mitkämpfen.
Biagio Fazzi ist Pizzaiolo aus Leidenschaft. «In den letzten vier Tagen habe ich nicht einmal zehn Stunden geschlafen», erzählt er. Tag und Nacht hat er seine Teige für die Pizza-WM gehätschelt und gepflegt. Denn egal, welche Pizza man macht: «Der Teig ist das Wichtigste», ist Fazzi überzeugt. Das werde in der Schweiz oft unterschätzt. «Jede Pizza braucht ihre eigene Teigvariante.»
Der Teig ist das Wichtigste. Jede Pizza braucht ihre eigene Teigvariante.
Viele Berufskolleginnen und -kollegen in der WM-Arena belegen ihre Pizza mit exotischen Zutaten wie Kaviar oder Blattgold. Davon hält der 47-jährige Pizzaiolo nichts: «Früher konnte man die Pizza oft nicht einmal mit Mozzarella belegen. Tomaten hatten in Italien aber praktisch alle. Heute habe ich einen Pizzaiolo gesehen, der Spargeln, Avocadocrème und Jakobsmuscheln auf der Pizza hatte. Da frage ich mich: Was hat das mit Pizza noch zu tun?»
Drei Pizzen bäckt Fazzi. Eine «Pizza in pala» auf dem Brett, eine runde «Pizza classica» und eine Pizza ohne Gluten, ein wichtiger Trend, ist der Berner Pizzaiolo überzeugt. Nun ist er müde, aber zufrieden. «Die Teige waren luftig und weich. Da kann man eine ganze Pizza essen, ohne danach Bauchschmerzen zu haben.»
Milliardengeschäft aus dem Tiefkühler
War früher die Pizza ein Gericht der Armen, ist sie heute ein Fast Food, das rund um den Globus erhältlich ist. Ein Grund dafür sind die Pizzen aus dem Tiefkühler. Es ist ein Milliardengeschäft. Laut einem Marktforschungsbericht von Transparency Market Research aus den USA dürfte das Geschäft auch weiterhin jährlich weltweit um 6.5 Prozent wachsen und bis 2026 einen Umsatz von knapp 26 Milliarden Dollar umfassen.
Der deutsche Familienkonzern Dr. Oetker gehört zu den Grossen im Geschäft mit Tiefkühl-Pizzen. Zahlen gibt er zwar keine bekannt. Das Geschäft habe sich coronabedingt gut entwickelt, schreibt der Konzern auf Anfrage. Und: «Wir messen dem Pizza-Sortiment – sowohl international als auch national – einen hohen Stellenwert zu. […]. Wir werden auch in Zukunft in diesen spannenden Markt investieren.»
Ähnlich tönt es beim Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé. Da gehört das Pizza-Geschäft ebenfalls zu den Kassenschlagern. Nestlé konzentriert sich zwar seit einigen Jahren verstärkt auf gesunde Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel. An der Tiefkühl-Pizza hält der Konzern weiter fest und teilt mit: «Nestlé hat sich zum Ziel gesetzt, innovative, qualitativ hochwertige, geschmacksvolle und gesunde Lebensmittel anzubieten. Pizza ist da keine Ausnahme.»
Das Milliardengeschäft mit Tiefkühlpizza ist für die Pizzaioli und Pizzaiole an ihren Öfen an der Pizza-WM in Parma eine harte Konkurrenz. Doch sie sind stolz auf ihren Beruf. «Die Leute, die sich da bewerben, sind ganz tolle Leute, die mit Enthusiasmus, mit Freude arbeiten», bestätigt der 3-Sterne-Koch Heinz Beck. Er lebt und arbeitet in Rom und zeichnet an der Pizza-WM Kochtalente aus Pizzerien aus.
Für ihn gibt es ein Nebeneinander ganz vieler Pizza-Arten, schlicht oder auch mit Kaviar oder Hummer: «Es gibt keine Limite für Kreativität und auch kein Limit für Preise.» Und so hat für den Spitzenkoch auch die Pizza aus dem Tiefkühler ihren Platz im Markt: «Wenn die Leute es gerne mögen und ab und zu essen, weil es unkompliziert ist, warum nicht?» Er selber bevorzugt aber die Pizza aus der Pizzeria. Aber auch Pizza-Stücke vom Pizzaiolo auf der Strasse, also Pizza als Fast Food, mag er, wenn sie gut gemacht ist.
Es gibt keine Limite für Kreativität und auch kein Limit für Preise.
Die Gastronomie – und damit auch das Pizza-Geschäft – hat während der Pandemie gelitten. Doch Heinz Beck ist optimistisch: «Auf dem freien Markt ist viel Platz für ökonomische Pizzen, ebenso für teure Produkte. Es kommt auf die Qualität der Pizza selbst an und auf das Einzugsgebiet.»
Pizza ist Fast Food. Offen ist, ob diese Art sich zu ernähren, auch eine Zukunft hat. Denn weltweit steigt – nicht zuletzt bei ärmeren Bevölkerungsschichten – die Zahl der Übergewichtigen. Die Biologin und Ernährungs-Wissenschafterin Marisa Cammarano sieht da keinen direkten Widerspruch: «Fast Food muss nicht unbedingt Junkfood sein. Auch eine gut gemachte Pizza Margherita ist Fast Food. Aber sie ist nicht zwingend ungesund. Sie ist Teil der mediterranen Diät.»
Cammarano ist eine der Jurorinnen an der Pizza-WM. Für sie ist die Pizza eine vollwertige Mahlzeit mit Fetten, Kohlehydraten, Antioxidantien und Vitaminen. Und sie hält fest: «Die Industrie muss auch Tiefkühl-Pizzen gesünder machen.»
Fast Food muss nicht unbedingt Junkfood sein.
Das uralte Konzept Pizza entwickelt sich weiter, ist Marisa Cammarano überzeugt. Und den Hebel für eine gesündere Pizza sieht sie – wie auch Pizzaiolo Biagio Fazzi – beim Teig: «Beim Teig muss man nicht zu raffinierte Mehle verwenden, mehr Ballaststoffe einarbeiten oder Ingwer und Kurkuma beimischen, um den Teig wertvoller und gesünder zu machen. Es braucht nur wenig, um die Pizza quasi zum Superfood zu machen.» Und an der Pizza-WM setzen das auch schon einige Pizzabäckerinnen und -bäcker um.
Die traditionellen Pizzen des Berner Pizzaiolo Biagio Fazzi stiessen zwar auf Lob, doch für den Weltmeistertitel hat es nicht gereicht. «Die Enttäuschung ist gross», gibt er zu. «Ich bin aber mit den Produkten sehr zufrieden, habe neue Sachen gesehen, neue Leute kennen gelernt. Und das ist auch ein gutes Resultat.»
Immerhin hat Paolo Moccia, ein guter Kollege von ihm, mit dem er regelmässig Rezepte und Ideen austauscht, sich einen Weltmeistertitel gesichert. Und Biagio Fazzi will es wieder versuchen, weiterhin nicht mit einem Luxus-Produkt, aber mit einem guten, gesunden Teig als Basis.
Die 12 WM-Kategorien | |
Pizza classica | 1. Paolo Moccia |
Freestyle (Pizza-Akrobatik) | 1. Nicola Matarazzo |
Pizza senza glutine (glutenfrei) | 1. Fabio Alveti |
Pizza in teglia (Blech) | 1. Camelia Rusu |
Pizza napoletana STG (Margherita) | 1. Manuel Lombardi |
Pizza in pala (Holzbrett) | 1. Giuseppe Criminisi |
Pizza più larga (grösste Pizza) | 1. Daniele Pasini |
Pizza a due (Duo) | 1. Caroline Maya, Patrick Fauconnet |
Pizzaiolo più veloce (Geschwindigkeit) | 1. Andi Zirkulari |
Trofeo Heinz Beck (Kochen in Pizzeria) | 1. Nicolai Mattei |
World Pizza Team (Teamwertung) | 1. Liguri Apuani Rossa Team |
Triathlon (Gesamtwertung 3 Disziplinen) | 1. Giuseppe Criminisi |