Zäsuren schaffen Gelegenheit, Dinge zurechtzurücken. Die Pandemie war eine solche Zäsur für den Schweizer Tourismus.
In den 10 Jahren zuvor hatte der Tourismus sein Marketing in den Fernmärkten massiv verstärkt. Gäste aus Fernost und den USA sollten jene Touristen ersetzen, die aus den Nachbarländern aufgrund der Frankenstärke fernblieben.
Die Strategie hatte Erfolg: Die Logiernächte aus den Fernmärkten stiegen. Aus den USA etwa kamen 2019 fast doppelt so viele Besucher wie 2009. Die Besucher aus China hatten sich gar verfünffacht.
Die Fernmärkte machten schliesslich rund 20 Prozent des Gäste-Mix aus. Mit der Pandemie brach der Markt zusammen. Die neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen nun, dass die Gäste aus Fernmärkten wieder deutlich zunehmen.
Risiko Overtourism
Doch diese Touristen haben auch Nebenwirkungen. Sie tragen punktuell zu Overtourism bei: Bisher mässig besuchte Orte können als Folge wirksamer internationaler Werbung regelrecht von Touristen überschwemmt werden.
Und ihr ökologischer Fussabdruck ist problematisch, kommen sie doch mit dem Langstreckenflugzeug und verlassen die Schweiz oft nach wenigen Tagen bereits wieder.
Dennoch will Schweiz Tourismus die Fernmärkte im gleichen Ausmass bearbeiten. So hat die Organisation des Bundes jüngst 29 Influencerinnen und Influencer aus aller Welt einfliegen lassen.
Flug, Kost und Logis übernahmen die Veranstalter. Dazu bezahlte Schweiz Tourismus jedem Teilnehmer und jeder Teilnehmerin mindestens 1200 Franken. Einzelne erhielten deutlich mehr.
Ihr Auftrag: Von der Schweiz schwärmen. Im Interview mit SRF machen sie es vor. So sagt beispielsweise Haifa Besseiso, Influencerin aus Dubai: «Ich verliebe mich gerade in die Schweiz. Es ist so toll hier.» Und Andrea Ference aus Kanada meint, die Schweiz habe alles, was sie sich wünsche: «Die Menschen sind sehr freundlich. Es gibt schöne Seen, tolles Essen. Ich persönlich liebe Käse.»
Vertraglich vereinbarte Post auf Social Media
Im Nachgang zu der 4-tägigen Reise sollen sie auf ihren sozialen Kanälen abgesprochene Inhalte posten. In diesem Jahr setzte man vor allem auf Influencer, die mit Bewegtbild arbeiten. Einzelne sind auch bekannt für ihren Fokus auf Nachhaltigkeit.
Ihre Communities jedenfalls sind nicht zu verachten: Sie haben mehrere Zehntausend Follower oder gar Millionen, wie im Falle des Singapurers Yik Keat Lee.
Jon Andrea Florin hält nichts von dieser Strategie. Er setzt sich mit seinem Verein «Fair unterwegs» für nachhaltiges Reisen ein.
«Schweiz Tourismus hat vor einem Jahr verkündet, die Schweiz werde Nachhaltigkeitsleader. Dafür braucht es auch nachhaltige Taten», meint er. «Und das heisst etwa, dass wir sagen, wir verzichten in Zukunft auf die Gewinnung von Gästen aus den Fernmärkten.»
Markus Berger, Kommunikationsleiter von Schweiz Tourismus, hält das für eine akademische Diskussion. Er sagt am Rande des Influencer-Treffens in Luzern: «Natürlich kann man auf dem Papier diskutieren: Wir streichen jetzt ganze Wirtschaftszweige, erschliessen ganze Bergtäler nicht mehr dem Tourismus.»
Dies hätte aber deutliche wirtschaftliche Auswirkungen. «Hinter jedem Entscheid stehen die Menschen, ihre Arbeitsplätze, ihre Zukunft. Wenn wir in der Schweiz nicht den gesamten Wohlstand um 20 Prozent herunterschrauben wollen, dann können wir auch nicht einfach sagen, wir reduzieren jetzt in dieser Branche um 20 Prozent.»
Dass aber der Tourismus nicht unendlich wachsen kann, betont Tourismus-Forscherin Monika Bandi von der Universität Bern. Der Schweizer Tourismus habe sich in ein Dilemma manövriert, sagt sie. Man habe kontinuierlich die Kapazitäten von Hotels und Bergbahnen ausgebaut.
Sie schlägt zweierlei vor: «Man sollte sich fragen: Planen wir eine neue Infrastruktur für die Spitzenzeit oder für die durchschnittliche Auslastung des Hotels oder der Bergbahn?»
Man könnte eine Mindestaufenthaltsdauer einführen.
Zudem könnte man neue Rahmenbedingungen für Ferngäste setzen. «Man könnte eine Mindestaufenthaltsdauer von zwei oder drei Nächten einführen. Schon das würde die Transport-Energiebilanz ein wenig verbessern.»
Und: «Man könnte sich auch überlegen, wie man sich positioniert und ob man gewisse Reiseveranstalter nicht mehr als Partner bedient. Stattdessen könnte man sich eher im Heimmarkt positionieren, mit höherer Erlebnis-Qualität und einem gutem Preisleistungsverhältnis.»
Heute stammen knapp zwei Drittel der Gäste aus dem Inland. Jeder und jede unternimmt im Durchschnitt pro Jahr eine Reise mit Übernachtung sowie sieben Tagesreisen in der Schweiz.
Bundesgeld nur noch für Heim- und Nahmärkte?
Mehr Heimmarkt, weniger Umsatz: Ob der Schweizer Tourismus in diese Richtung gehen wird, wird bald auf Bundesebene entschieden.
Der Grüne Walliser Nationalrat Christoph Clivaz hat am 16. Juni eine Motion eingereicht. Sie fordert, dass Schweiz Tourismus Bundesgelder nur noch für die Bewirtschaftung der Heim- und Nahmärkte verwenden darf.
Politischer Vorstoss
Bis die Motion im Nationalrat behandelt wird, werden voraussichtlich noch ein oder zwei Jahre vergehen. Jahre, in denen Schweiz Tourismus weiter Millionenbeträge in die Fernmärkte investieren wird. Und Jahre, in denen der Unmut mancherorts weiter wächst.