Das Wichtigste in Kürze
- Mit Scheininnovationen verlängern Pharmakonzerne den Patentschutz von Wirkstoffen.
- Eine andere Strategie sind zeitlich gestaffelte Patente.
- Dank sogenannten Evergreenings können Pharmakonzerne ihre Gewinne für ein Medikament sehr lange in Milliardenhöhe halten.
Pharmazeutische Unternehmen nehmen am meisten ein, wenn ihre Arzneimittel unter Patentschutz stehen. In dieser Zeit erzielen sie Monopolpreise. Kein Generikahersteller darf sie mit billigeren Nachahmerprodukten konkurrenzieren.
Doch nach zwanzig Jahren läuft ein Patent zumeist aus. Mit sogenannten Evergreening-Strategien versucht die Industrie, ihre Monopolpreise dennoch zu erhalten. «Evergreening hat das Ziel, die Patentlaufzeit eines Originalpräparates zu verlängern», sagt Wolf-Dieter Ludwig, Onkologe in Berlin und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
Die Kombination führt nicht zu einer besseren Wirksamkeit. Trotzdem erzielt der Hersteller damit Umsätze, die nicht gerechtfertigt sind.
«Das tut die Pharmaindustrie, in dem sie zum Beispiel die chemische Zusammensetzung eines Arzneimittels geringfügig verändert und dafür ein neues Patent erhält.» Mit solchen Scheininnovationen wehrt die Industrie die Konkurrenz ab.
Patent für zwei alte Wirkstoffe in einer Tablette
Der US-Pharmakonzern MSD wandte diese Strategie an. MSD brachte kurz vor Patentablauf ihres Cholesterinsenkers Zocor mit Inegy ein weiteres Medikament auf den Markt. Inegy enthält den gleichen alten Wirkstoff wie Zocor plus einen zusätzlichen Wirkstoff, ebenfalls von MSD.
Zwei alte Wirkstoffe in einer Tablette, das ist nicht innovativ. Trotzdem bekam MSD dafür ein neues Patent. Die Firma verlangt für Inegy mehr als doppelt soviel wie Zocor. MSD schreibt auf Anfrage von «Eco», dass die Kombination den Cholesterinspiegel zusätzlich senke.
Inegy sei ein sehr gutes Beispiel für eine Evergreening-Strategie, sagt Wolf-Dieter Ludwig. «Die Firma hat zwei alte Wirkstoffe kombiniert: Ein Statin, das einen klinischen Nutzen hat, und einen anderen Wirkstoff, der auch schon mehrere Jahre verfügbar ist. Die Kombination führt jedoch nicht zu einer besseren Wirksamkeit. Trotzdem erzielt der Hersteller damit Umsätze, die nicht gerechtfertigt sind.»
Heutzutage würden solche Scheininnovationen nicht mehr so einfach zugelassen, sagt das Bundesamt für Gesundheit BAG. Das Amt habe seit kurzem eine Handhabe, um gegen solche Praktiken vorzugehen. Trotzdem steht Inegy seit Jahren auf der Spezialitätenliste und muss von den Kassen bezahlt werden.
Mit ausgeklügelter Patentstrategie die Konkurrenz abwehren
Die Pharmaindustrie nutzt auch andere Tricks, um möglichst lange hohe Monopolpreise zu erzielen, etwa mit zeitlich gestaffelten Patenten.
Der Pharmakonzern AbbVie wandte für den Milliardenblockbuster Humira diese Strategie an. Das Immunsupressivum ist weltweit das umsatzstärkste Medikament.
«AbbVie hat möglichst viele Patente eingereicht, sei es zu Indikationen oder zum Wirkprinzip, um mögliche Nachahmer abzuwehren», sagt der Arzneimittelexperte Andreas Schiesser vom Krankenkassenverband Curafutura.
Der Konzern liess den Wirkstoff von Humira 1996 patentieren. Seither folgten dutzende Patentanträge: für neue Formulierungen, Ausweitung auf andere Krankheitsfelder, die Injektion für den Hausgebrauch, verbesserte Herstellungsverfahren und so weiter.
Mit dieser Strategie gelang es AbbVie trotz vergleichsweise altem Wirkstoff, günstigere Konkurrenten vom Markteintritt abzuhalten, weil diese langwierige Patentstreitigkeiten fürchten. Es ist kostspielig und zu riskant, sich mit diesem riesigen Patentwerk auseinanderzusetzen. 16 Milliarden US-Dollar Umsatz machte AbbVie im letzten Jahr. Der Konzern will diese Strategie gegenüber «Eco» nicht kommentieren.
Auch der Schweizer Branchenverband Interpharma wollte sich zu den Evergreening-Strategien nicht äussern und verzichtete auf ein Interview. Thomas Cueni vom internationalen Branchenverband IFPMA zog eine Interviewzusage wieder zurück.