Das Wichtigste in Kürze
- In den USA übersteigen die Ausschüttungen an Aktionäre inzwischen die Investitionen der Firmen.
- Die Firmen schütten sogar mehr aus, als sie Gewinne machen.
- Den Unternehmen wird damit die Substanz für künftiges Wachstum entzogen.
- Der grösste Vermögensverwalter der Welt fordert nun eine Abkehr von dieser heiklen Praxis.
Es ist vergleichbar mit dem Auspressen einer Zitrone. Zunächst kauft ein bedeutender Investor ein namhaftes Aktienpaket eines Grossunternehmens. Dann zwingt er dieses Unternehmen, Beteiligungen zu verkaufen, Fremdkapital aufzunehmen und seine Geschäftspolitik zu ändern. Schliesslich soll das Unternehmen bei steigenden Kursen eigene Aktien zurückkaufen: Der Investor macht Kasse.
Dieses Rezept hat der aggressive US-Investor Dan Loeb bei Nestlé angewandt, weil er mit dem Aktienkurs unzufrieden ist. Mit erstem Erfolg: Innerhalb von drei Jahren will der Nahrungsmittelkonzern durch Rückkäufe 20 Milliarden Franken an seine Aktionäre zurückgeben. Geht Loebs Rechnung auf, dann wird er sein gegenwärtig 3,5 Milliarden Dollar schweres Aktienpaket mit sattem Gewinn an Nestlé zurückverkaufen können.
Für Wirtschaftsprofessor Philipp Lütolf von der Uni Luzern verdient Nestlé genug, um dieses Rückkaufprogramm bewältigen zu können. Allerdings schränkt Lütolf ein: «Entscheidend wird sein, ob Nestlé in Zukunft genügend freie Mittel verdient, um die Mehrschulden bedienen zu können.» Denn Nestlé werde sich für den Aktienrückkauf wohl höher verschulden müssen.
Nestlé hat die Aktienrückkäufe im Juni 2017 bekanntgegeben, nur ein paar Tage, nachdem die Forderungen Loebs bekannt wurden. Nestlé nahm dabei nicht direkt zu Loebs Forderungen Stellung.
Grosser Druck in den USA
Wie man Unternehmen richtig auspresst, haben Investoren in den USA längst erkannt und als Geschäftsmodell etabliert. Dort ist der Druck auf Unternehmen und steigende Kurse dermassen gross, dass sich auch Firmenmanager selber dieses Mittels bedienen. Sie verkünden Rückkauf-Programme, um die Aktienkurse ihrer Unternehmen in die Höhe zu treiben und damit erst noch Steuern zu sparen.
Solange die Unternehmens-Gewinne sprudeln, geht die Sache gut: Apple gab seinen Aktionären letztes Jahr 33,8 Milliarden Dollar zurück, Facebook will dieses Jahr 6 Milliarden auszahlen. Das ist indes nur ein Teil der Auszahlungen: Rechnet man die Dividenden-Ausschüttungen dazu, so haben US-Konzerne im vergangenen Jahr insgesamt 930 Milliarden Dollar an ihre Aktionäre zurückgegeben. Das ist fast drei Mal so viel wie 2009.
Es fehlen Gelder für neue Technologien
Gut für die Aktionäre aber nicht immer für die Unternehmen. Denn wegen der Ausschüttungen an die Aktionäre fehlen den Unternehmen Mittel für Investitionen in die Zukunft. Investieren Unternehmen nicht nachhaltig, so droht ihnen der Untergang.
Unter Druck geraten ist deshalb beispielsweise Ginny Rometti, die mächtige IBM-Chefin. IBM schüttete 9 Milliarden Dollar aus und investierte 2016 lediglich 5,4 Milliarden in Forschung und Entwicklung. Kritiker werfen IBM vor, technologische Entwicklungen verpasst zu haben. Noch schlechter steht der New Yorker Medienriese Viacom da. Er ist mit 12,4 Milliarden Dollar verschuldet und gab seinen Aktionären im letzten Jahr trotzdem 21 Milliarden Dollar zurück. Viacom-Chef Tom Dooley hat kürzlich seinen Abgang bekanntgegeben.
Kritik vom grössten Vermögensverwalter
Inzwischen haben aggressive Aktienrückkäufe in den USA ein derartiges Ausmass angenommen, dass massive Kritik von unerwarteter Seite kommt. Larry Fink, CEO von Blackrock, dem weltgrössten Vermögensverwalter – notabene ein grundsätzlicher Befürworter von Aktienrückkäufen - kritisiert die «blindwütige Geschwindigkeit», mit der inzwischen Aktienrückkaufe stattfinden. Und Larry Fink mahnt zur Besinnung: «Unternehmen sollten nur dann Aktien zurückkaufen, wenn sie sicher sind, dass der Vorteil solcher Rückkäufe am Ende die Kosten dafür übersteigt. Und dass der Vorteil grösser ist, als wenn das Geld in langfristiges Wachstum investiert worden wäre.»
Europa und die Schweiz stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Allerdings ist bereits feststellbar: Im Vergleich zu den gesamten Ausschüttungen an ihre Aktionäre, hinken die Investition von Schweizer Unternehmen seit Jahren hinterher.