Viele westliche Notenbanken befinden sich derzeit auf einer Gratwanderung: Da ist einerseits die Wirtschaft, die sich noch von den Folgen der Corona-Pandemie erholt und durch den Krieg und die Sanktionen bereits wieder geschwächt wird. Und da ist die Inflation, die rasant gestiegen ist und beunruhigende Niveaus erreicht hat.
Was ist zu tun? Nach Lehrbuch müssen Notenbanken, wenn sie die Inflation bekämpfen wollen, die Zinsen anheben. Doch eine Zinserhöhung ist eine zusätzliche Belastung für die Wirtschaft. Zinserhöhungen könnten die Erholung, die wegen des Krieges ohnehin ins Stocken geraten ist, ganz ausbremsen – ja, die Wirtschaft gar in eine Rezession stürzen.
Am schwierigsten hat’s die EZB
Die US-Notenbank hat sich in dieser Abwägung entschieden, dass es derzeit wichtiger ist, die Inflation zu bekämpfen, statt die Wirtschaft zu stützen. Und auch die Europäische Zentralbank (EZB) scheint umzudenken: Sie könnte dem Vernehmen nach nun bereits im Juli die Zinsen anheben.
Für die Europäer ist die Gratwanderung allerdings heikler als für die US-Amerikaner: Die Inflationsraten sind zwar ähnlich hoch (zuletzt 8.5 Prozent in den USA gegenüber 7.5 Prozent in der Eurozone).
Doch die Wirtschaft läuft in Europa weniger gut. Die Erholung von der Corona-Pandemie stockt, zusätzlich sind die Folgen von Krieg und Sanktionen in Europa stärker spürbar als in den USA. Die Gefahr, die Wirtschaft mit Zinserhöhungen in eine Rezession zu stürzen, ist in Europa grösser.
Abwarten ist keine Option mehr
Bei derart hohen Inflationsraten müssen die Notenbanken aber Gegensteuer geben, sonst könnte die Inflation vollends aus dem Ruder laufen. Die Folgen sind schmerzhaft, nicht zuletzt für Leute mit kleinem Haushaltsbudget: Schwindet die Kaufkraft derart stark, geraten sie rasch in existenzielle Nöte.
Erhöht die EZB tatsächlich im Juli ihre Zinsen, könnte die Schweizerischen Nationalbank (SNB) nachziehen: Sie könnte das Ende der unliebsamen Negativzinsen einläuten.
Die SNB befindet sich dabei in einer einfacheren Situation als die EZB: Die Inflation ist in der Schweiz deutlich tiefer (zuletzt 2.4 Prozent) als im Euroraum, und die Wirtschaft steht nicht zuletzt dank des Pharmasektors derzeit robuster da.