Welche Partei im US-Kongress die Mehrheit hat, wirkt sich auch auf die Wirtschaft aus. An der Wall Street spielen die Zwischenwahlen allerdings eine weniger grosse Rolle, als man vielleicht denken könnte. Manche Analysten sprechen gar von einem «Non Event» für die Märkte, der kaum relevant für Investoren sei.
Das stimme in weiten Teilen, erklärt Sabrina Kessler, SRF-Korrespondentin an der Wall Street. Was an der US-Börse für Schlagzeilen und Schwankungen sorge, seien Themen wie Inflation, Zukunft der Geldpolitik und Konjunkturaussichten. Trotzdem sei der Einfluss der Wahlen auf die Börse nicht wegdiskutierbar.
So gaben in einer kürzlichen Umfrage von JP Morgan 40 Prozent der befragten Anlegerinnen und Anleger an, die Midterms seien ein positiver Katalysator für die Märkte. Historisch stimmt das: Die 18 Kongresswahlen seit 1950 zeigen positive Tendenzen an der Wall Street am Wahltag und am Tag danach. Aber auch im Jahr darauf lief es erstaunlich gut. Der Index S&P 500 legte im Jahr nach Midterms im Schnitt rund 19 Prozent zu.
Der beliebte «Stillstand»
Ist es für die Anleger also doch ziemlich wichtig, wer die Midterms gewinnt? Das Börsenparkett sei zu 90 Prozent mit Republikanern besetzt, die ihre Partei gern in der Mehrheit sähen, sagt Kessler. Bezogen auf die ganze Finanzbranche mit Banken, Hedgefonds und Vermögensverwaltern sei das Bild aber gemischt: Denn auch wenn die Wirtschaft historisch unter republikanischer Führung besser laufe als unter demokratischer Flagge, wünsche sich die Wall Street eigentlich, dass keine der beiden Parteien gewinne.
Die Wall Street wünscht sich eigentlich, dass keine der beiden Parteien gewinnt.
«Gridlock» – Stillstand – nennt man diesen Zustand. Also ein gespaltener Kongress ohne klare Mehrheiten. Das würde bedeuten, dass in den nächsten zwei Jahren weder grosse Reformen noch strengere Regulierungen auf den Weg kämen. Es würde die Märkte vor bösen Überraschungen bewahren.
Inflation überschattet alles
Die wirtschaftliche Lage ist bei Wahlen in den USA oft ein entscheidender Faktor. Die US-Konjunktur stehe dabei aktuell gar nicht so schlecht da, sagt Kessler. Ganz im Gegensatz zur Performance der Wall Street im laufenden Jahr. Denn dort steuert der Index S&P 500 geradewegs auf das schlechteste Börsenjahr seit 2009 hin. Trotz positivem Wirtschaftswachstum im dritten Quartal, rückläufigen Erzeuger- und Produzentenpreisen, langsam sinkender Mieten und einer Arbeitslosenquote auf dem tiefsten Stand seit 50 Jahren.
Also alles recht positiv, wenn da nicht die Inflation von anhaltend plus acht Prozent wäre, der höchste Preisauftrieb seit 40 Jahren. Die hohen Preise stehen auf der Liste der Wählersorgen denn auch ganz oben. Entsprechend tief liegt die Beliebtheitsrate von Präsident Biden – bei aktuell 39 Prozent – so tief wie bei kaum einem anderen US-Präsidenten rund um die Zwischenwahlen.
Die Perspektiven
Trotz künftiger Risikofaktoren, welche die Börsen bereits in den vergangenen Monaten massiv belasteten, dürfte die US-Wirtschaft noch glimpflich davonkommen, schätzt Kessler. Vorausgesetzt, die Notenbank mache der Konjunktur nicht noch einen Strich durch die Rechnung – nach sechs Zinserhöhungen allein in diesem Jahr, vier davon um jeweils 75 Basispunkte. Die Währungshüter seien tatsächlich mit das grösste Risiko für Konjunktur und Aktienmärkte, so Kessler: Denn diese würden entscheiden, ob die USA tatsächlich in eine Rezession fallen oder ob ein «Hard Landing» doch noch vermeidbar sei.