SRF News: Wie interpretieren Sie solche Verlautbarungen?
Helmut Becker: Das ist auf jeden Fall ernst zu nehmen. Wir wissen inzwischen, dass die Abgasproblematik in den Innenstädten mit der Verkehrsdichte dramatisch zugenommen hat. So wie in den letzten Jahren kann es nicht mehr weitergehen.
Sind diese Verlautbarungen in der Umsetzung realistisch?
Das ist eine andere Frage. Es bedeutet im Grunde genommen eine Revolution in der Automobilindustrie. Die Industrie lebt seit 125 Jahren vom Verbrennungsmotor. Dass die Dieselproblematik diese Verbrennungsproblematik noch verschärft hat, hat jetzt anscheinend das Fass zum Überlaufen gebracht. Jetzt muss man sich einen neuen Weg aussuchen. Es ist wirtschaftsgeschichtlich vergleichbar mit der Ablösung des Webstuhls durch den mechanischen Webstuhl.
Es ist wirtschaftsgeschichtlich vergleichbar mit der Ablösung des Webstuhls durch den mechanischen Webstuhl.
Der Verkauf von Benzin- und Dieselautos soll in Frankreich und Grossbritannien bis 2040 verboten werden. Warum diese lange Wartezeit? Der Autobauer Volvo in Schweden will schon ab 2019 keine solchen Fahrzeuge mehr entwickeln.
Das bedeutet aber nicht, dass Volvo ab 2019 völlig Abstand vom Verbrennungsmotor nimmt. Solche Autos werden weiterhin produziert, es werden nur keine neuen mehr entwickelt. Volvo geht zur Hybridisierung des Antriebs über. Es werden also sowohl Verbrennungsmotoren wie auch elektrisch unterstützte Verbrennungsmotoren angeboten. Eine völlige Verabschiedung findet auch bei Volvo nicht statt. Das kann auch bei den anderen nicht sein. Die Umstellungszeit ist dafür viel zu kurz. Man braucht eine lange Vorlaufzeit, um die Branche umzustellen und es auch den Kunden beizubringen. Sie müssen sich vorstellen: Wir haben heute auf der Welt eine Milliarde Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.
Jede Partei oder Regierung, die heute darangehen würde, den Verbrennungsmotor – und damit die Antriebsart, die die deutsche Autoindustrie gross gemacht hat – zu verbieten, würde Selbstmord begehen.
Die deutsche Bundesregierung teilt heute mit, ein Verbot von Dieselfahrzeugen oder Benzinern stehe derzeit nicht auf der Agenda. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Selbstverständlich, wir sind im Wahlkampf. Jede Partei oder Regierung, die heute darangehen würde, den Verbrennungsmotor – und damit die Antriebsart, die die deutsche Autoindustrie gross gemacht hat – zu verbieten, würde Selbstmord begehen. Die Autoindustrie ist verantwortlich für etwa 20 Prozent des deutschen Bruttoinlandproduktes. Da hängen ungefähr drei Millionen Menschen dran, die ihr täglich Brot damit verdienen. Sowas kann man nicht von heute auf morgen verbieten. Dem müsste eine lange politische Diskussion vorausgehen.
Wir haben in den vergangenen Tagen gehört, dass Daimler auf einen Zukunftsplan für Dieselmotoren setzt und VW in den kommenden Jahren zehn Milliarden Euro in saubere Dieselmotoren investieren will. Wie erklären Sie sich das?
Das erklärt sich daraus, dass man sich aus dieser Antriebstechnologie nicht verabschieden will. Der Diesel ist ein deutsches Antriebsaggregat. Er wurde hier perfektioniert und ist ein Wunderwerk der Technik. Man hat Mittel und Möglichkeiten, es bezüglich der Stickoxide, die bei der Verbrennung entstehen, sauber zu bringen. Da ist man dabei und dort setzt man die Technologie ein.
Stellen Sie sich vor, wir wüssten, dass die grosse Flut 2040 kommen würde. Die Autoindustrie würde frühsten 2030 anfangen, schwimmende Fahrzeuge zu entwickeln.
Sie waren als langjähriger Chefökonom von BMW selber an der Entwicklung von neuen Fahrzeugen beteiligt. Wieso haben die deutschen Autobauer nicht schon viel früher auf die Elektromobilität und Hybridantriebe gesetzt?
Es gab dafür keine Notwenigkeit. Die gibt es bis heute noch nicht. Ich wurde in einem Interview in den 1980er-Jahren gefragt, was geschehe, wenn das Öl ausgehe und die Industrie ein neues Antriebsaggregat entwickeln muss. Meine Antwort damals war: Stellen Sie sich vor, wir wüssten, dass die grosse Flut 2040 kommen würde. Die Autoindustrie würde frühstens 2030 anfangen, schwimmende Fahrzeuge zu entwickeln. Sie müssen das entwickeln, was der Kunde will und der will heute kein Elektroauto. Das zeigen die Verkaufszahlen, die nach wie vor etwa ein Prozent am Gesamtmarkt betragen.
In Grossbritannien und Frankreich werden jetzt aber Gesetze gegen Verbrennungsmotoren verabschiedet. Das bedeutet nach Ihrer Interpretation ja, dass es 2040 keine Autos mehr auf der Strasse gibt, weil niemand Elektroautos will.
Bis dahin gibt es ja noch Zeit zur Umstellung. Wir argumentieren nach dem Standpunkt, den wir heute haben. Sie müssen fragen: Wieso will der Kunde heute keine Elektroautos? Das ist so, weil es zu teuer oder zu unbequem ist und weil die Kapazität der Batterien unzureichend ist. Ein Auto mit dem sie nur 150 Kilometer fahren können und dann eine oder zwei Stunden warten müssen, bis es vollgeladen ist, ist kein Fahrzeug, mit dem man frohen Mutes durch die Gegend fahren kann.
Das kann und wird sich aber innerhalb von zehn oder zwanzig Jahren ändern. Die technische Entwicklung bleibt nicht stehen, der Fortschritt geht voran. Wir werden bessere Batterien und schnellere Ladezeiten haben und wir werden möglicherweise sogar eine andere elektrische Antriebstechnologie haben: Wasserstoff und Brennstoffzellen. Bis 2040 ist noch eine lange Zeitspanne.
Das Gespräch führte Samuel Wyss