Die Schweiz, das Land der Vermögenden: Ein Bild, das sich im In- und Ausland fest verankert hat. Weil das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» die Liste der 300 Reichsten in der Schweiz veröffentlicht hat, stehen die Wohlhabendsten im Land wieder im Fokus.
Doch nicht nur die Reichsten haben gut lachen. Der aktuelle Vermögensreport der Credit Suisse untermauert das Klischee der gut betuchten Schweizer: Gut 535'000 Franken besitzt der durchschnittliche Erwachsene im Land – das ist Weltrekord.
Mehr als die Hälfte hat weniger als 50'000 Franken
Der hohe Durchschnitt blendet jedoch: Wie eine Studie der Berner Fachhochschule zeigt, besitzt das reichste Prozent der Menschen in der Schweiz 41 Prozent des Vermögens. Jenen, die weniger als 50'000 Franken besitzen, gehören aber nur 1.6 Prozent des Gesamtvermögens – obwohl mehr als jeder Zweite zu dieser Gruppe gehört, nämlich 55.9 Prozent der Bevölkerung.
Gemäss Bund leben über eine halbe Million Menschen unter der Armutsgrenze – also mit weniger als 2240 Franken monatlich. Darin sind zwar Studenten eingerechnet und es sind weniger Arme als vor zehn Jahren. Dennoch handelt es sich um einen beträchtlichen Anteil der Gesellschaft, der von Armut betroffen ist.
Ein Risikofaktor für die ganze Gesellschaft?
«Auf dieser Seite stehen immer mehr Personen, welche abgehängt werden», ist Robert Fluder überzeugt. Der Dozent für Soziale Arbeit an der Berner Fachhochschule forscht zur Verteilung von Vermögen. In seinen Augen birgt die Ungleichheit in der Schweiz Gefahren. Fluder nennt vier Ursachen für die ungleichmässige Verteilung in der Schweiz:
Hohe Vermögen würden geschont, während steigende Krankenkassenprämien oder Mieten besonders die ärmeren Schichten träfen. Im Vergleich zu den Einkommen nähmen die Vermögen stärker zu; Fluder stellt die Frage, «ob man nicht Spitzenvermögen mehr zur Kasse bitten müsste, um Ausgaben der öffentlichen Hand zu decken».
Wenn das so weitergeht, führt das zu einer zunehmenden Spaltung. Das könnte ein Konfliktpotenzial bergen.
Grosse Unterschiede in den Vermögen hätten nicht nur für die ärmeren Schichten Konsequenzen: «Wenn das so weitergeht, führt das zu einer zunehmenden Spaltung. Die Gesellschaft wird brüchig. Das kann ein Konfliktpotential bergen.»
Reichtum als Motor für die Schweiz
Für Ulrich Bettermann ist das Schwarzmalerei. Der Elektroinstallations-Unternehmer, der zu den 300 reichsten Menschen in der Schweiz zählt, schliesst Bedrohungen für das Land aus: «In der Schweiz wird es sicherlich nicht brüchig, dafür geht es uns nun wirklich zu gut. Gefährlich ist das in Ländern, wo wir wirklich Armut haben, aber in der Schweiz ist es ausgewogen.» Das Geld, das im Land angelegt wird, führe zu Investitionen und Arbeitsplätzen, nicht zu sozialen Unruhen. Gleichheit gäbe es zwar nirgends auf der Welt, in der Schweiz sei sie aber vergleichsweise stark ausgeprägt.
Gefährlich ist das in Ländern, wo wir wirklich Armut haben, aber in der Schweiz ist es ausgewogen.
Eine höhere Besteuerung von Vermögen, wie sie Robert Fluder in den Raum stellt, hält Bettermann für problematisch: «Wenn man die so genannten ‹Reichen› mehr besteuert, wird das Kapital aus der Schweiz in andere Regionen abwandern. Das würde alle treffen.»
Kein politischer Konsens
Dieses Denken widerspiegelt sich im politischen Urteil der Stimmbevölkerung. In den vergangenen Jahren wurden mehrere Initiativen klar abgelehnt, welche Reiche mehr zur Kasse bitten oder Ärmeren direkt unter die Arme greifen wollten, etwa die 1:12-Initiative oder die Abstimmungen zur Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer oder eines Mindestlohns.
Die Schweiz kennt allerdings – im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern – eine Vermögenssteuer. Diese macht jedoch nur gut 3.6 Prozent der gesamten Steuereinnahmen im Land aus. Zudem tangiert sie Kapital, auch wenn es im betreffenden Jahr nicht anstieg. Die Vermögenssteuer bleibt deshalb umstritten – und zeigt, wie schwierig ein politischer Konsens bei der Bekämpfung von Ungleichheit sein kann.