Während der Pandemie haben die Generalversammlungen der allermeisten Firmen virtuell stattgefunden. Zum Schutz der Aktionärinnen und Aktionäre und der Unternehmensführung. Viele börsennotierte Konzerne haben die Online-Veranstaltungen beibehalten. Die Konzernspitzen müssen sich so nicht von Angesicht zu Angesicht rechtfertigen, sondern virtuell vom Büro aus. Das ist praktisch und billiger.
Den Aktionärinnen von Siemens passt das aber nicht. Sie wollen ihre Grossveranstaltung in der Münchner Olympiahalle zurück. Bei der diesjährigen – virtuellen – Generalversammlung haben 29 Prozent der Anteilseigner gegen weitere virtuelle Generalversammlungen gestimmt. Damit haben sie sich durchgesetzt, denn um auf weitere Präsenzveranstaltungen zu verzichten, wäre eine qualifizierte Mehrheit von 3/4 notwendig gewesen.
Kleinaktionäre wehren sich
Offenbar geht es nicht nur den Siemens-Aktionären so, sondern laut der Stiftung Ethos auch anderen Eignern der grössten börsennotierten Konzerne in Deutschland. Den Siemens-Aktionären habe Ethos empfohlen, sich gegen die virtuellen GVs auszusprechen. «Die GV ist ein wesentliches Element der Aktionärsdemokratie», sagt Vincent Kaufmann, Direktor der Ethos-Stiftung.
Die Generalversammlung sei oft der einzige Zeitpunkt im Jahr, an dem die Aktionäre sich treffen, sagt Kaufmann: «Sie können dort Fragen stellen, Ideen und Vorschläge unterbreiten und sie können vor den anderen Aktionären offen das Wort ergreifen.»
Herrmann Struchen war so eine Legende unter den Kleinaktionären. Bei einer Versammlung der Novartis beklagte er sich über die Verpflegung. Nur bei zwei Versammlungen gebe es nichts zu essen und zu trinken.
2017 äusserte er sich an der GV der Credit Suisse. Zum damaligen Verwaltungsratspräsidenten Urs Rohner sagte er: «Herr Rohner, als Mensch sind Sie mir eigentlich sehr sympathisch. Aber für uns Aktionäre war das letzte Jahr eine Katastrophe!».
Physische Generalversammlungen sind für Kleinaktionäre auch ein Treffpunkt. Es sind oft gesellige Anlässe, man isst und trinkt zusammen, tauscht sich aus. Der eine oder der andere Kleinaktionär nutzt die GV als Bühne.
Für andere Aktionäre und Aktionärinnen sind virtuelle Teilnahmemöglichkeiten aber wichtig, weil sie sich so von überall auf der Welt zuschalten und ihre Stimme abgeben können.
Physische Generalversammlungen bleiben in der Schweiz die Norm
In der Schweiz finden die meisten GVs wieder physisch statt. Laut Ethos haben im Jahr 2024 nur sechs von über 200 Unternehmen des Swiss Performance Indexes SPI, die GV rein virtuell durchgeführt, zum Beispiel die Swatch Group. Seit der Aktienrechtsrevision 2020 haben die Unternehmen auch ohne Ausnahmeregelung die Möglichkeit, die Generalversammlungen ohne Tagungsort, also rein virtuell, durchzuführen. Aber das Aktionariat muss dafür zuerst einer Statutenänderung zustimmen.
Laut Ethos gibt es zahlreiche andere börsennotierte Unternehmen, die sich dieses Recht eingeholt hätten, aber davon aktuell keinen Gebrauch machen. Novartis hat diese Erlaubnis an der letztjährigen Generalversammlung bereits eingeholt. Die diesjährige Generalversammlung Anfang März findet aber trotzdem physisch statt. Die Novartis hat die Basler St. Jakobshalle gemietet.