Vom 6. bis 9. Juni wählen die EU-Bürgerinnen und -Bürger das Europäische Parlament neu. Die Stimmung ist in mehreren Ländern bereits jetzt merklich aufgeheizt. Gleichzeitig kämpfen bedeutende Mitgliedsstaaten mit wirtschaftlichen Problemen.
Heiner Mikosch von der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich sagt: «Derzeit befinden wir uns in allen grossen europäischen Volkswirtschaften in einer konjunkturellen Delle.» Hinzu kommen hausgemacht Probleme.
Sein Institut hat die drei grössten Volkswirtschaften der EU, Deutschland, Frankreich und Italien analysiert.
Italien: Alternde Gesellschaft
Italien entwickelt sich laut der Analyse nur schwach. Das Land hat unter anderem eine hohe Staatsverschuldung. Heiner Mikosch sagt: «Sie wird mit zunehmender Zinslast immer weniger tragbar. Sie schränkt die Flexibilität des Staates bei der Haushaltsgestaltung ein.»
Zweites grosses Problem: Italien altert. Damit steht das Land in Europa zwar nicht alleine da, in Italien ist diese Tatsache aber besonders problematisch. So erklärt Mikosch: «Der grosse Unterschied zum Beispiel zu Deutschland ist, dass es zusätzlich einen Braindrain gibt, dass Fachkräfte abwandern und nicht wie in Deutschland zuwandern. Es ist eine grosse Herausforderung für ganz Italien, genug Fachkräfte zu kriegen für die Industrie.»
Frankreich: Hohe Schulden
Auch Frankreich hat hohe Staatsschulden angehäuft. Was das heisst, sei von der Inflation abhängig.
«Wenn die Zinsen hoch bleiben und die Zinslast steigt oder langfristig hoch bleibt, dann wird das ein echtes Problem für Frankreich werden und für die Europäische Union», sagt Mikosch. Frankreich könnte Druck auf die Europäische Zentralbank ausüben, die Zinsen zu senken oder die Schulden zu vergemeinschaften.
Länder wie die Niederlande und Deutschland sind strikt dagegen. «Das würde zu einem grossen politischen Streit führen, und das vor dem Hintergrund des Aufkommens rechter oder sagen wir rechtspopulistischer Parteien in Europa. Das wäre eine sehr explosive Situation.»
Deutschland: Stillstand
Deutschland hatte sich in der Vergangenheit stark von russischer Energie abhängig gemacht und bekam die Konsequenzen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am stärksten zu spüren. Das hat die deutsche Industrie stark belastet.
Hinzu kommen technologische Umwälzungen im für das Land wichtigen Automobilsektor: «Es ist eine grosse Frage, wie die deutsche Automobilindustrie mit den Konkurrenten aus China und den USA mithalten kann», so der Analyst.
Auch ist Deutschland wirtschaftspolitisch zögerlich unterwegs. Man habe Reformen aus den 2000er-Jahren partiell wieder abgeschwächt. Heiner Mikosch sagt: «Das ist vielleicht aus sozialpolitischer Perspektive positiv, aber es beschränkt das Potenzialwachstum.»
Das Fazit
Heiner Mikosch will aber nicht schwarzmalen. Die Europäische Union hat in seinen Augen einen entscheidenden Vorteil: «Europa ist im Vergleich zu den USA und China derjenige Kontinent, auf dem man am stärksten auf die Balance zwischen wirtschaftlicher Dynamik und gesellschaftlichem Ausgleich achtet.»
Ihre Bürgerinnen und Bürger nicht aus den Augen zu verlieren, könnte langfristig der Wettbewerbsvorteil der EU sein.