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Wärme aus der Erde Geothermie hat Potential – aber einen schlechten Ruf

  • Sieben Jahre Forschung von 25 Wissenschaftseinrichtungen zeigen, dass die Geothermie in der Schweiz grosses Potenzial hat.
  • Hat man bisher vor allem auf die Stromproduktion gesetzt, sind die Forschenden des Kompetenzzentrums für Energieforschung – Strombereitstellung überzeugt, dass die Wärme aus dem Boden direkt zum klimafreundlichen Heizen genutzt werden sollte.
  • Das Problem: Geothermie hat einen schlechten Ruf, nachdem bei Probebohrungen die Erde gebebt hat.
  • Die Schweiz kennt ihren Untergrund schlechter als die meisten umliegenden Länder, weil sie nie fossile Brennstoffe wie Öl und Gas gefördert hat. Zahlreiche Löcher in den Schweizer Boden gebohrt hat aber die Nagra, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, auf der Suche nach einem Standort für ein Endlager.

Wir kennen den Schweizer Untergrund heute deutlich besser als noch vor wenigen Jahren.
Autor: Andrea Moscariello Professor für Geoenergie, Universität Genf

Diese Löcher haben Forscherinnen und Forscher in den letzten Jahren systematisch untersucht. «Wir kennen den Schweizer Untergrund heute deutlich besser als noch vor wenigen Jahren» stellt Andrea Moscariello, Professor für Geoenergie an der Universität Genf und einer der Teamleiter des Kompetenzzentrums für Energieforschung fest. Und das neue Wissen stimme optimistisch.

Gute Ausgangslage in der Schweiz

Die Sonne scheint zwar in Ländern des Südens deutlich intensiver als in der Schweiz und Photovoltaik lohnt sich dort deshalb deutlich schneller. Und auch Windräder produzieren andernorts mehr Strom als auf den Jurahöhen. Doch in Sachen Geothermie könne die Schweiz mit ihren Nachbarn mithalten, betont Geologe Moscariello.

Ein weiteres Plus der Geothermie: Sie könnte – ähnlich wie die Kernkraftwerke, die ersetzt werden müssen –kontinuierlich Energie liefern, sogenannte Bandenergie.

Das Handicap ist der schlechte Ruf

Könnte, denn die Geothermie hat ein grosses Handicap: Ihr Ruf ist schlecht. Geothermie-Projekte, die mit grossen Erwartungen in Basel und St. Gallen begonnen worden waren, wurden schliesslich gestoppt, nachdem Erdbeben die Bevölkerung aufgeschreckt hatten. Das sei ein ernstzunehmendes Problem, meint Moscariello.

Das Geothermie-Projekt in St.Gallen
Legende: Das Geothermie-Projekt in St.Gallen musste nach durch die Bohrungen ausgelöste Erdbeben 2013 abgebrochen werden. Keystone/Archiv

Einerseits müsse man die Bevölkerung besser informieren. In der Schweiz sei man sich solche Beben weniger gewohnt als in anderen Ländern. Andererseits könne das Risiko von Erdbeben dank der immer besseren Kenntnisse des Untergrunds stetig gesenkt werden.

Genf geht pragmatisch vor

Vielversprechend findet Moscariello das Vorgehen des Kantons Genf. Dieser mache Schritt für Schritt: Nach einer Bohrung in 700 Meter Tiefe folgte eine auf 1400 Meter. Nun ist eine von 1800 Metern geplant. In diesen Tiefen sei das Wasser warm genug, um damit zu heizen und Fernwärmenetze zu speisen.

Bis zu dreissig Prozent der Haushalte in der Schweiz könnten bis 2050 über Wärmenetze mit Wärme aus dem Boden geheizt werden, schätzt Gianfranco Guidati von der ETH Zürich. Er hat das Forschungsprojekt koordiniert. Zudem sei das Risiko von Erdbeben bei Bohrungen in diesen Tiefen gering.

Heizwärme ist einfacher als Strom

Die Energiestrategie des Bundes rechnet allerdings auch damit, dass die Geothermie bis 2050 auch Strom liefert – je nach Szenario mehr als vier Terrawattstunden pro Jahr. Heute sind es gerade mal 0.1 Terrawattstunde. Dazu muss aber deutlich tiefer gebohrt werden, auf mindestens 3000 Meter, wo deutlich wärmeres Wasser zirkuliert. Bis das in grösserem Stil, zu vertretbaren Kosten und mit geringem Erdbeben-Risiken möglich ist, muss weiter geforscht werden.

Echo der Zeit, 01.09.2021, 18 Uhr

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