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WEF 2014 Ethischer Kapitalismus: «Mehr Mut zum Experiment»

Ethischer Kapitalimus – ein Ding der Unmöglichkeit? Oder einen Versuch wert? Dies diskutieren am WEF die Teilnehmer. SRF News Online hat darüber mit dem Wirtschaftsethiker Gerhard Minnameier gesprochen.

Das WEF hat ein Forum zum Thema «Ethischer Kapitalismus» lanciert. Ein Widerspruch in sich?

Gerhard Minnameier: Es ist kein Widerspruch, wenn man den ökonomischen Gedanken zu Ende denkt. Wünsche nach mehr Umweltschutz, nach mehr Lebensqualität, nach einer anderen Work-Life-Balance und vielem anderen mehr sind Ausdruck von Bedürfnissen, für die die Gesellschaft Lösungen finden muss. Auch hier gilt das Prinzip von Angebot und Nachfrage, und auch im Hinblick auf diese sozialen und ökologischen Erfordernisse müssen effektive und effiziente Lösungen gefunden werden. Man darf die ökonomische Perspektive nur nicht verengt denken und damit verkürzen.

Zur Person

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Gerhard Minnameier ist Professor für Wirtschaftsethik und Wirtschaftspädagogik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und ist Leiter der Arbeitsstelle Wirtschaftsethik. Er forscht unter anderem im Bereich der Entwicklung moralischen Denkens und Handelns in wirtschaftlichen und beruflichen Kontexten.

Also muss das System der Marktwirtschaft nicht grundsätzlich neu gedacht werden.

Wir können die Probleme nicht lösen, indem wir uns von der Marktwirtschaft verabschieden. Wir müssen entsprechende Strukturen etablieren, Rahmenbedingungen schaffen. Häufig entstehen die Probleme übrigens erst deshalb, weil die Marktwirtschaft gerade nicht funktioniert, weil wir Vetternwirtschaft, Kartelle sowie Verflechtungen von Politik und Wirtschaft haben. Das Problem liegt also nicht immer darin, dass es zu viel Wettbewerb gibt, sondern manchmal auch zu wenig.

Ein Beispiel?

Die Finanzkrise hat zum Beispiel wesentlich damit zu tun, dass fundamentale marktwirtschaftliche Prinzipien verletzt werden, und nicht etwa umgekehrt. Grosse Finanzinstitute müssen keine Angst haben zu scheitern, weil sie irgendwann überschuldet sind. Denn sie werden im Zweifelsfall vom Steuerzahler gerettet. Sie werden also für die Übernahme eines Kreditrisikos entlohnt, das sie, wenn es hart auf hart kommt, gar nicht tragen müssen. Das ist eine Form des Wirtschaftens, die zu Auswüchsen und schliesslich auch zu kaum wünschbaren Umverteilungen in der Gesellschaft führt.

In der Schweiz stimmen wir häufig über die Einschränkung des freien Marktes ab. Die letzte Initiative wollte die oberen Löhne begrenzen. Die Gegner drohen bei solchen Vorlagen mit dem immer gleichen Argument: Wenn die Schweiz für Firmen und Manager nicht Top-Bedingungen schafft, wandern diese ab. Müssten weltumspannende Regeln her?

Natürlich brauchen wir weltumspannende Regeln, sonst sind die einzelnen, die sich ethisch verhalten, immer ausbeutbar, denn sie haben Wettbewerbsnachteile. Das ist ein Grundproblem. Die grosse Frage ist jedoch auch, wer diese Regeln erlassen und durchsetzen soll, und wo sie überhaupt herkommen sollen. Das klingt manchmal ein bisschen wie der Ruf nach dem Messias. Wie soll an internationalen Konferenzen etwas entschieden werden, wenn die Politiker, die da auftreten, die Interessen ihres Landes vertreten und ja auch vertreten müssen.

Die Lösung?

So einfach ist das nicht zu lösen. Was hilft, Regeln länderübergreifend durchzusetzen, ist Folgendes: In einem ersten Schritt müssen die Menschen verstehen, was vor sich geht, dann braucht es den Diskurs in der breiten Bevölkerung und auf allen Ebenen, der einerseits für besseres Verständnis, aber auch für mehr Druck bei Missständen sorgt. Diesen Druck auf Regierungen und Unternehmen braucht es eben auch als Innovationsmotor, aber ohne Diskurse und Verständnis führt gesellschaftlicher Druck nur zu populistischen Reaktionen. Deshalb ist beides gleichermassen wichtig – und manchmal braucht es auch gesellschaftliche Experimente.

Einzelne Länder sollten also mehr Mut haben und neue Spielregeln im Alleingang ausprobieren?

Ja. Wir haben etwa früher in Deutschland diverse Umweltrichtlinien erlassen, die nicht dem internationalen Trend entsprachen. Kritiker befürchteten damals auch, dass wir so nicht mehr konkurrenzfähig sind. Heute sind wir froh, dass wir diese Richtlinien haben, denn dadurch haben wir Wettbewerbsvorteile in Umweltschutztechnologien geschaffen und können damit gute Geschäfte machen. Das gleiche gilt für die Begrenzung der Managergehälter und die Drohung, dass die Topleute abwandern. Da wäre ich gar nicht so sicher, dass die gehen würden. Denn nicht nur der Faktor Geld zählt bei den Menschen. Das zeigt ja auch die Erfahrung bei ganz normalen Arbeitnehmern. Die meisten bleiben auch gerne in jenen Jobs und in jenen Ländern, in denen sie sich wohl fühlen und gehen nicht dahin, wo sie das meiste Geld verdienen. Ich plädiere hier für mehr Mut zum Experiment.

Und den Mut, die Regel wieder zu verwerfen, sollten sie nicht funktionieren.

Regeln sind nicht immer gut, sie können, wenn sie nicht durchdacht sind, zu den gegenteiligen Effekten führen, die ursprünglich beabsichtigt waren. Auch braucht es ein Mass in der Anzahl. Zu viele Richtlinien können eine Gesellschaft lähmen, können zu viel Bürokratie und zu grosse Kosten verursachen. Grundsätzlich gilt, dass Regeln von einer Mehrzahl der Betroffenen getragen werden müssen. Durch Strafandrohungen allein kann man keine Ordnung dauerhaft etablieren, sondern nur durch die Akzeptanz der Regeln und der Sanktionen.

Was sind ihrer Meinung nach die dringlichsten Probleme, die angegangen werden sollten?

Das Problem, das wir mit den Finanzinstituten haben, habe ich am Anfang schon angesprochen. Ein weiteres Problem ist das Wohlstandsgefälle. Wir müssen uns künftig daran gewöhnen, dass wir den Wohlstand in den Industriestaaten nicht mehr auf breiter Front erhalten können. Wir müssen auch die Frage lösen, wie wir mit Menschen umgehen, die sich im Arbeitsmarkt nicht behaupten können. Ein anderes grosses Problem gibt’s meiner Meinung nach im Besteuerungswesen. Unternehmen entziehen sich durch zu niedrige Steuern ihrer Verantwortung fürs Gemeinwesen. Sie nutzen einerseits die Infrastruktur und stabile Systeme, tragen aber zu jenen zu wenig bei. Es ist aber andererseits auch legitim, dass Länder steuerlich miteinander konkurrieren. Mit andern Worten, sinnvolle Regeln müssen immer gut austariert sein.

Interview: Christa Gall

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