Dass es der Mensch in Sachen Wissenschaft weit gebracht hat, kann kein Besucher des WEF in Abrede stellen. In der grossen Halle des Kongresshauses liest ein Roboter Zeitung, ein Referent zeigt die chinesische Hauptstadt auf einer Satellitenkarte, und selbst die Toilette lädt mit innovativen Applikationen zum längeren Verweilen ein.
Wie sich der Mensch in der Forschung aber auch selbst im Weg steht, legen die Untersuchungen des Neurowissenschafters Michael Platt nahe. Gefragt, wie viel wir über das menschliche Verhalten wissen, streicht er ein grundlegendes Erkenntnisproblem heraus: Zwar seien Neurowissenschafter in der Lage, an Menschen im Labor entsprechende Daten zu erheben. Doch die Probanden würden sich unweigerlich auf die Testsituation einstellen – und womöglich ihr Verhalten verändern, das man doch analysieren wolle.
Einsichten für Personalvermittlung
Beim unerlässlichen «reality check» setzt Platt deswegen auch auch auf Affenpopulationen. Denn auch wenn zwischen Mensch und Tier gewichtigte Unterschiede bestehen, kann er auf diese Art entscheidende Erkenntnisse gewinnen.
So vertiefen seine Analysen – die insbesondere auf das Gehirn fokussieren – das Verständnis darüber, wie sich Menschen in ihrer sozialen Umwelt verhalten. Und dieses Verständnis ist nicht etwa nur von akademischem Wert, sondern für die klinische Medizin, für das Marketing und für die berufliche Personalvermittlung interessant.
Der Mensch mit einem freien Willen?
Dass sich die Neurowissenschaft nicht vor den ganz grossen Fragen scheut, zeigt sich im Gespräch mit Michael Platt. Ob denn der Mensch einen freien Willen habe? Der Forscher wägt ab.
Zum einen habe er beobachten können, wie Menschen im Nachhinein eine Handlung als willentlich interpretieren, obwohl sie ihre Intentionen nachweislich nicht bemerkt haben können.
Zum anderen sei das Verhalten des Menschen aber auch nicht vollumfänglich deterministisch zu erklären. Platt: «Selbst wenn wir die Geschichte von einem Menschen kennen und dessen ganzes Gehirn, kann man nicht voraussagen, was er als nächstes macht.»
Flüchtlingskrise: Jeder ist sich selbst der Nächste
Die Neurowissenschaft hat auch konkrete politische Ereignisse auf dem Radar. Auf die zunächst wohlwollende, später eher ablehnende Haltung mancher Europäer gegenüber den Flüchtlingen aus Syrien, Irak und Afghanistan angesprochen, hält er fest: «Das ist ein komplizierter Sachverhalt. Im Grundsatz wollen die Europäer offen sein. Aber sie haben nicht voraussehen können, wie viele Flüchtlinge kommen würden.»
Ungeachtet dessen, wie generös jemand sei, sei erst einmal ein Wettbewerb um die wesentlichen Ressourcen entbrannt, gehe die eigene Existenz und der Unterhalt der Familie vor.
Eine versöhnliche Einschätzung der Menschheit
Auf die Kriege angesprochen, welche die Flüchtlingskrise veranlasst haben, kann Platt derweil eine versöhnliche Einschätzung machen. Wolle man die Menschen etwas freundlicher und die Welt insgesamt etwas besser gestalten, sei es womöglich gar nicht nötig, alle Menschen entsprechend zu verändern. Seine Untersuchungen an Affen legten nahe: «Wenn wir das Hirn eines Affen verändern, verändert das unweigerlich auch das Verhalten der anderen.»