Florian Wallner von Awin hatte zwei Herzen in seiner Brust, als seine Chefs ihm von ihrer Idee der Viertagewoche erzählten. «Als Mitarbeiter fand ich es eine fantastische Initiative, als Führungskraft habe ich mich gefragt, wie wir die gleiche Arbeit in kürzerer Zeit schaffen sollen.» Florian Wallner leitet den Schweizer Standort der deutschen Firma Awin, die im Marketingbereich tätig ist.
Nicht ohne neue Prozesse
Ihnen sei schnell klar geworden, ohne Veränderungen führe eine verkürzte Arbeitswoche zu einer Arbeitsverdichtung und damit zu einer Mehrbelastung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sagt Florian Wallner: «Wir haben Prozesse umgekrempelt, Leerläufe gesucht und neue Tools eingeführt, die Abläufe effizienter machen.»
Wir haben Prozesse umgekrempelt, Leerläufe gesucht und neue Tools eingeführt, die Abläufe effizienter machen
Anpassungen seien zwingend, sagt Gudela Grote von der ETH Zürich. «Sonst haben wir dasselbe Problem wie bei Pensumsreduktionen.» Wenn Angestellte ihr Pensum reduzieren, würden Firmen die Aufgaben der Person teilweise nicht auf das tiefere Pensum anpassen. «Dann arbeiten Angestellte gleich viel, aber für weniger Geld.» Eine Verdichtung der Arbeit erhöhe das Burnout-Risiko, sagt Grote.
Muss ich wirklich nur an vier Tagen erreichbar sein?
Entscheidend sei auch, wie eine Firma die Erreichbarkeit regle, sagt die Arbeits- und Organisationspsychologin. «Muss ich dann wirklich nur in diesen vier Tagen erreichbar sein?», das sei eine wichtige Frage, die am Schluss darüber entschiede, ob Angestellten mit einer Viertagewoche gestresster sind, als wenn sie fünf Tage arbeiten.
Jokerkarten für Spitzenzeiten
Es sei tatsächlich nicht immer einfach, am freien Tag nicht zu arbeiten, sagt Florian Wallners Kollege Tony Riedel: «Manchmal gibt es Sachen, die sind einfach dringend, das kennt doch jeder.» Er versuche aber schon ganz klar zu priorisieren, wann es wirklich nötig sei, am freien Tag einen Anruf oder eine Mail zu beantworten.
Manchmal gibt es Dinge, die sind dringend, das kennt doch jeder.
Damit das Arbeiten am freien Tag die Ausnahme bleibt, habe jede Chefin und jeder Chef eine beschränkte Anzahl Jokerkarten, erklärt Florian Wallner. Diese dürfe er oder sie einsetzen, wenn gerade extrem viel zu tun ist und die Mitarbeitenden mehr als vier Tage gebraucht werden, sagt Schweiz Standortleiter Wallner.
Pilotprojekt bisher ein Erfolg
Inzwischen wird die Viertagewoche bei Awin seit mehreren Monaten gelebt. Das Management begleitet das Pilotprojekt eng und führt alle paar Wochen bei der Kundschaft und bei den Angestellten Umfragen durch. Bisher sei das Fazit positiv, sagt Virpy Richter, Mitglied der Geschäftsleitung bei Awin.
«Auch die Produktivität ist nicht gesunken – im Gegenteil», sagt Virpy Richter. Das bestätigt auch Mitarbeiter Tony Riedel. «Wir haben so viele Projekte durchgeführt wie ich es noch nie gesehen habe.» Er spüre deswegen aber keine Mehrbelastung – im Gegenteil. Er und seine Kollegen hätten in den letzten Monaten gelernt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, sagt Tony Riedel.
Virpy Richter will das Projekt noch länger laufen lassen. Das sei gut, sagt Gudela Grote. Denn solche Arbeitsmodelle müssten Firmen über längere Zeitfenster testen. Die anfängliche Euphorie könne verfliegen, wenn sich herausstelle, dass der Arbeitsalltag mit dem neuen Modell doch etwas zu dicht geworden ist.
Was halten Sie von einer Viertagewoche? Ein längst überfälliger Schritt oder ein Risiko wegen Arbeitsverdichtung und Mehrbelastung? Schreiben Sie uns in den Kommentaren.