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Weniger Investitionen Schweizer Geschäft im Krisenstaat Türkei

Verunsichert durch die harte Politik des Präsidenten Recep Tayyjp Erdogan, investieren Schweizer Firmen zurzeit nur halb soviel in der Türkei, wie im Schnitt der letzten 10 Jahre.

Der Rückgang von Investitionen von Schweizer Unternehmen in der Türkei ist gross. Brachten sie im Schnitt der letzten 10 Jahre rund 200 Millionen Franken ins Land, ist es zurzeit nur die Hälfte. Das bestätigt Arpat Senocak, Präsident der Schweizer Handelskammer in der Türkei im Wirtschaftsmagazin «ECO».

Tiefe Löhne – Hohe Margen

Eine der wenigen Firmen, die im Moment in der Türkei ausbaut, ist der Heizkörper- und Lüftungshersteller Zehnder aus Gränichen. Das Unternehmen eröffnete soeben eine neue Produktionsanlage in Manisa, unweit von Izmir. Dafür investierte es 20 Millionen Euro.

«Für die Türkei spricht das tiefe Lohnniveau», sagt Hans-Peter Zehnder, Präsident des Verwaltungsrates. Und: Er habe dort langjährige und sehr qualifizierte Mitarbeiter. Zehnder ist bereits seit 12 Jahren in der Türkei aktiv. Im neuen Werk arbeiten 200 Angestellte.

Für die Türkei spricht das tiefe Lohniveau.
Autor: Hans-Peter Zehnder Verwaltungsrats-Präsident Zehnder

Die Firma produziert in der Türkei Heizkörper für Westeuropa, exportiert also vorwiegend aus dem Land. Sie profitiert von der Schwäche der türkischen Währung, weil sie in Euro einkauft und in türkischer Lira produziert.

«Keine Rechtssicherheit»

Die Türkei leidet zurzeit unter hoher Inflation, Währungszerfall und der autoritären Politik des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Deshalb sieht der Liechtensteiner Werkzeugbauer Listemann davon ab, die Exporte dorthin zu forcieren.

«Es gibt keine Rechtssicherheit im Land», sagt Manfred Boretius, Geschäftsführer des KMU. «Ich habe Angst, einen Mitarbeiter in die Türkei zu schicken, es wäre unverantwortlich».

Man könne nicht in einem Land investieren, in dem Journalisten wegen Terrorismusvorwürfen verhaftet werden und jahrelang im Gefängnis sitzen, ohne dass es zu einem Prozess kommt, so Boretius weiter.

Ich habe Angst, einen Mitarbeiter in die Türkei zu schicken
Autor: Manfred Boretius Geschäftsführer Listemann

Er fürchtet, dass seine Mitarbeiter auch in Gefahr sein könnten, wenn sie mit Geschäftsleuten in Kontakt kämen, die ebenfalls unter Terrorverdacht stehen. «Es kann meine Angestellten genauso treffen».

Ein weiterer Grund, weshalb für ihn der türkische Markt keine Rolle mehr spielt, ist die Tatsache, dass seine Produkte in der Türkei wegen der Lira-Schwäche zu teuer werden.

Wirtschaft vor Politik

Hans-Peter Zehnder hat keine moralischen Bedenken, in der Türkei zu produzieren. Das Unternehmen hat keine festen Schweizer Mitarbeiter vor Ort. «Das politische System ist nicht so, wie wir es in anderen Ländern kennen. Aber mit unserer Investition tragen wir dazu bei, dass sich ein Teil des Landes entwickeln kann und die Wohlfahrt steigt». Zehnder bringe Arbeit ins Land, bezahle gute Löhne, und das sei für das Land per se gut.

Insgesamt rechnet Hans-Peter Zehnder für dieses Jahr mit einem Umsatz von 600 Millionen Euro. Das Türkei-Geschäft macht zwar nur einen kleinen Teil davon aus, aber mit dem Ausbau wird die Produktionskapazität deutlich erhöht.

Die Grossen warten ab

Unternehmen wie Nestlé, Roche, Novartis oder Schindler investieren beträchtliche Summen in der Türkei. «Einige Grosse warten ab», sagt Arpat Senocak, Präsident der Schweizer Handelskammer in der Türkei, «bis sich die politische Situation beruhigt hat und die Spannungen mit Europa bereinigt sind».

Doch die Investitionen der bereits in der Türkei tätigen Schweizer Firmen seien nie in Gefahr gewesen und auch deren Mitarbeiter nicht, sagt Arpat Senocak.

Exportmarkt leidet

Die Währungsschwäche beeinflusst vor allem Schweizer Unternehmen, die in die Türkei exportieren. Für den Textilmaschinenhersteller Rieter ist das Land ein wichtiger Markt.

Man rechne in den nächsten Monaten mit weniger Bestellungen. Rieter schreibt: «Die Investitionsneigung unserer Kunden in der Türkei ist wegen der bestehenden Unsicherheiten insgesamt gering».

Türkischer Ökonom Seyfettin Gürsel zur Krise

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Legende: SRF

SRF: Wie gross ist die Wirtschaftskrise der Türkei?

Seyfettin Gürsel: Der klarste Indikator ist wohl, dass die Importe im August in US-Dollars im Vergleich zur Vorjahresperiode um 25 % abgenommen haben.

Was sind die Gründe dafür?

Der Wendepunkt war meiner Meinung nach der Besuch Erdogans in London im Mai. Er sagte dort, hohe Zinsen seien verantwortlich für die Inflation. Die Investoren waren schockiert und verloren das Vertrauen in eine wachsende türkische Wirtschaft.

Nun hat die türkische Zentralbank die Zinsen erhöht und Erdogan stellt sich nicht mehr dagegen.

Er scheint seine Haltung etwas geändert zu haben. In einer Rede vor der UNO sagte er, die Zentralbank tue, was sie für notwendig halte. Ich glaube, er hat verstanden, dass er nicht davon sprechen sollte, in die Geldpolitik eingreifen zu wollen. Das war für mich überraschend. Und er versucht, sich der EU anzunähern, was auch sehr wichtig ist.

Ich würde nicht gerade sagen, dass sich Erdogan ändern wird, aber zumindest hat er den Ernst der Situation erkannt und lässt die Dinge im Moment gewähren. Aber er will Resultate sehen. Er will keine langjährige Rezession mit noch höherer Arbeitslosigkeit, die heute schon 11 Prozent bei liegt.

Was muss weiter geschehen, damit ausländische Investoren wieder vermehrt Geld in die Türkei bringen?

In Europa gibt es ja eine grosse Debatte über das autoritäre Abdriften der Türkei, seitdem Recep Tayyip Erdogan zum Präsidenten gewählt wurde. Es ist eine Debatte über die Freiheit des Individuums, das Eigentumsrecht, usw. Diese Sorgen existierten schon. Aber jetzt haben wir zusätzlich eine Wirtschaftskrise und Spannungen mit den USA.

Die Türkei muss die Beziehungen mit der EU weiterführen. Es braucht Reformen, eine unabhängige Justiz, frei von Willkür sowie demokratische Rechte. Das braucht alles Zeit. Wenn die Reformen kommen, kann die Türkei langsam wieder zu einem Wachstum zurückfinden.

Das Gespräch führte Harry Stitzel

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