Das «Tor zum mittleren Westen», nennt SRF-Korrespondent Jens Korte in Washington die Chicagoer Terminbörse. Mit Gebrüll, Handzeichen, knallbunten Jacken oder solchen in Kuhfelloptik, versuchten die Händler aufzufallen. Je wilder der Look, desto eher hätten die Händler die Chance gehabt, erfolgreich zu traden.
Chicago sei, als er das letzte Mal da war, nicht zu vergleichen gewesen mit der New Yorker Börse, so Korte. Bereits in New York hätten die Praktikanten die Händler an den Hosengurten zurückhalten müssen, damit diese nicht in den Handelsring fielen. In Chicago herrschte jedoch eine noch «rauhere Art. Da gab es wirklich irre Typen.»
Schweinebäuche und Orangensaft
Berühmt wurde die Chicagoer Terminbörse Anfang der 80er-Jahre durch den Film «Trading Places» («Die Glücksritter» auf Deutsch) unter anderem mit Eddie Murphy und Jamie Lee Curtis.
Im Film geht es um Orangensaftkontrakte, gehandelt werden aber unter anderem auch Schweinebäuche, Weizen, Öl, Staatsanleihen und Aktien. Nun will die Chicago Mercantile Exchange-Gruppe den Parketthandel schliessen. Damit geht definitiv eine lange Ära des Warenterminhandels zu Ende.
Bald hat das Herz der Chicagoer Terminbörse, gebaut im Art déco-Stil, ausgeschlagen. Dass sich die Stadt zu einem globalen Finanzzentrum entwickelt hat, verdankt sie insbesondere der Agrarindustrie. «Die Kornkammer der USA befindet sich ungefähr in dieser Ecke», so Jens Korte.
Dies war im 19. Jahrhundert die Basis für die Einführung des Handels mit Terminkontrakten. Die «Futures» genannten Papiere legen die zukünftige Lieferung eines Guts zu einem bestimmten Preis fest. Bauern haben so etwa die Möglichkeit, sich gegen saisonale Preisschwankungen abzusichern.
Die Maschine ersetzt den Mann
Einen grossen Schub erhielt die Börse in Chicago mit dem Ende des Bretton-Woods-Systems 1971. Darauf hinab wurden erstmals Futures auf Währungen gehandelt. Später kamen Anleihen, Hypotheken und Aktien dazu. Ende der 90er-Jahre dann befand sich der Tradingboom auf einem Höhepunkt. Tausende von Händlern buhlten in Chicago auf dem Parkett um die besten Aufträge. Heute sollen es nur noch weniger als Dutzend Händler sein, die sich im Handelsring abkämpfen, wie die «Finanz und Wirtschaft» schreibt.
«Die allermeisten Umsätze, die heute gemacht werden, sind elektronisch», sagt Stephan Meier, Pressesprecher der wichtigsten Schweizer Börse «SIX Swiss Exchange». Im Gebäude in Zürich Selnau wird seit 19 Jahren kein Handel mehr auf dem Parkett abgeschlossen. Die Aufträge werden elektronisch von den Banken auf die Handelsplattform der SIX geschickt. Hier kommen die Aufträge – Käufe und Verkäufe – zusammen.
Das Parkett als nostalgischer Wert
Geschrei, Schweiss und Handzeichen entsprechen immer weniger der Realität. Der Parketthandel bedient, dort wo es ihn noch immer gibt, eher nostalgische Gefühle. Im Fernsehen dienen die Parkette oft als Kulisse. So versuchen Börsenkommentatoren wie Jens Korte den Zuschauern das komplexe Geschehen fassbarer zu machen. Modernen Effizienz-Ansprüchen genügt der Parketthandel bei Weitem nicht mehr. Um die Jahrtausendwende setzte sich der elektronische Handel durch.
«Früher wurde Roche beispielsweise um neun Uhr gehandelt. Wurde am Mittag der Entscheid über eine Medikamentenzulassung gefällt, hatte dies natürlich Einfluss auf den Kaufpreis. Die Händler mussten jedoch bis zum nächsten Morgen warten», veranschaulicht Stephan Meier das Geschehen. Heute werden die einzelnen Titel gehandelt, solange die Börse offen ist. Hochleistungsrechner haben die Geschwindigkeit von Transaktionen zudem um ein Vielfaches erhöht.