Als der Nationalrat im Mai 2014 über die Revision des Heilmittel-Gesetzes debattierte, ging es unter anderem auch um Anreize für die Pharmaindustrie bei Medikamenten gegen seltene Krankheiten. Die Ratsmehrheit folgte dabei dem Vorschlag der Gesundheits-Kommission: «Um die Entwicklung von Arzneimitteln für seltene Krankheiten zu fördern, sollen die Pharmafirmen für Orphan Drugs während zehn Jahren die Marktexklusivität erhalten.»
Das heisst, ein Konkurrenzprodukt würde nur zugelassen, wenn es besser oder sicherer wäre. Diese faktische Monopolstellung entspricht dem Wunsch der Pharmaindustrie.
Wissenschaftliche Hürden
Lange war die Forschung auf dem Gebiet der seltenen Krankheiten verwaist – daher auch der Name für solche Medikamente: Orphan Drugs (Waisen-Medikamente). Das Wissen habe gefehlt, sagt Thomas Cueni, Generalsekretär des Branchenverbands Interpharma: «Man ist bis vor rund 20 Jahren wissenschaftlich angestanden. Man hat nicht weiter gewusst, man hatte noch nicht die Instrumente und die Erkenntnisse der Bio- und Gentechnologie, um den Ursachen der Krankheiten auf den Grund zu gehen. Das war das eine, die wissenschaftlichen Hürden. Und das zweite: Ganz einfach, der Markt hat gefehlt.»
Es war nicht lukrativ für die Pharmaindustrie, Medikamente für wenige Betroffene zu entwickeln. Der technische Fortschritt im Bereich Forschung und Entwicklung sowie veränderte politische Rahmenbedingungen in den USA und der EU haben die Situation geändert. Heute existieren rund 400 Medikamente gegen diverse seltene Krankheiten.
Lukratives Geschäft
Für die Pharmaindustrie entwickeln sich Orphan Drugs zu einem lukrativen Geschäftsfeld, der Trend zeigt nach oben: Die weltweiten Verkäufe von Orphan Drugs haben in den letzten fünfzehn Jahren um das Fünffache zugenommen. Bis 2020 sollen sie um weitere 80 Prozent auf fast 180 Milliarden Dollar steigen, so eine Studie von Evaluate Pharma.
Den höchsten Umsatz weltweit machte 2014 dabei Novartis mit 11,8 Mrd. Dollar. An zweiter Stelle folgte Roche mit 9,7 Mrd. Orphan Drugs-Produzenten sind längst auch auf dem Radar von Investoren. Obwohl Forschungs- und Entwicklungskosten noch immer hoch sind.
Für Michael Nawrath, Pharma-Analyst bei der Zürcher Kantonalbank: «Meistens sind es angeborene Krankheiten. Das heisst, sie betreffen junge Patienten, oft schon Kinder. Es sind meistens Krankheiten, die ein Leben lang in Schach gehalten werden müssen.» Das bedeute, so Nawrath, ein Betroffener müsse ein Leben lang mit einem Medikament behandelt werden: «Das macht dann doch einen gewaltigen Unterschied aus, was die Lukrativität des Medikamentes angeht.»
Umstrittene Anreize
Dass Schweizer Pharmaunternehmen trotz ihrer führenden Stellung bei den Orphan Drugs zusätzliche Anreize wünschen, kommt nicht bei allen Politikern gut an. Nationalrätin Yvonne Gilli ist gegen die Marktexklusivität.
Ihr Eindruck während der laufenden Debatte: « Die Grosspharma, also die international tätigen Konzerne, haben sehr aktiv an diesem Gesetz mitgeschrieben. Und haben auch während der Gesetzesberatungen aktiv Einfluss genommen auf die Kommissionsmitglieder. Eigentlich konnten sie in diesem Bereich ihre Maximalforderungen durchsetzen. Ich glaube, dies darf man in Frage stellen.»
Die Ratsmehrheit aber ist für die Marktexklusivität. Es gehe darum, gute Rahmenbedingungen für die Pharmaindustrie zu schaffen, so der Tenor. Noch ist nichts definitiv entschieden, im Rahmen einer Sondersession Anfang Mai wird sich der Nationalrat wieder mit dem Thema befassen. Und am Ende könnte der Ständerat der Branche einen Strich durch die Rechnung machen – dort ist bislang eine Mehrheit gegen Marktexklusivität.