Es ist durchaus umstritten, wie viel ein Afrikaner oder Chinese verdienen muss, um zur globalen Mittelschicht zu gehören. Kann er sich einen Fernseher schon leisten, wenn er neun Dollar pro Tag verdient? Oder erst, wenn er 15 Dollar pro Tag in der Tasche hat?
Das ist, wie so vieles, Definitionssache. Und das macht es auch so schwer, die zahlreichen überschwänglichen Prognosen zur wachsenden globalen Mittelschicht in Frage zu stellen. Der Ökonom Rakesh Kochhar von der US-Denkfabrik Pew Research Center in Washington macht es trotzdem. Zur kaufkräftigen Mittelklasse gehöre, sagt Koshhar, wer 10 bis 20 Dollar pro Tag zur Verfügung habe – und zwar gemessen an der Kaufkraft des jeweiligen Landes.
Kleiner und ärmer
Das sei im Übrigen auch die Meinung der Weltbank, so Kochhar. Denn bei einem verfügbaren Einkommen unter 10 Dollar pro Tag und Haushalt sei die Gefahr allzu gross, zurück in die Armut zu fallen. Erst darüber könnten Menschen in Bildung und Anschaffungen investieren und würden damit als Käufer westlicher Konsumartikel interessant.
Rakesh Kochhar hat die Daten der Weltbank zu Haushaltseinkommen und Kaufkraftparität in 111 Ländern zwischen 2001 und 2011 verglichen. Sein ernüchterndes Ergebnis: Die globale Mittelklasse ist kleiner als gedacht, ärmer als gedacht und konzentriert sich auf wenige Regionen.
Nur 13 Prozent der Weltbevölkerung gehören dazu
Zum globalen Mittelstand zählen demnach nur 13 Prozent der Weltbevölkerung – gerade einmal sechs Prozent mehr als zu Beginn des Jahrtausends. Zu finden vor allem in China, Osteuropa und Südamerika.
Die meisten Länder Afrikas und Asiens einschliesslich Indiens – und damit der grösste Teil der Schwellenländer – fielen dagegen zurück, konstatiert Ökonom Rakesh Kochhar. Wirklich global sei die Mittelklasse also nicht.
Die Auswirkungen spüren auch Unternehmen. Das Wachstum des Nahrungsmittelmultis Nestlé zum Beispiel hat sich bereits verlangsamt, weil die Märkte in Schwellenländern sich nicht so dynamisch entwickeln, wie noch vor ein paar Jahren angenommen. Offiziell kommentieren mag der Konzern die neuen Zahlen aber nicht.
Erwartungen zurückschrauben
Unternehmen müssten ihre Wachstumserwartungen an die neuen Märkte insgesamt etwas zurücknehmen, sagt Daniel Küng, der Geschäftsführer des Schweizer Aussenhandelsverbandes Switzerland Global Enterprise. Dennoch: «Diese wachsende Mittelklasse – die ist eine Realität», so Küng.
Knapp ein Viertel der Schweizer Exporte gingen bereits heute nach China, sechs Prozent mehr als noch vor einigen Jahren. Demgegenüber seien Exporte nach Europa deutlich zurückgegangen. «Sichtbar wird eine Verlagerung der Exporttätigkeit weg von gesättigten europäischen Märkten hin zu den starken Wachstumsmärkten Asiens», sagt Küng.
Sorgenkind China
Deutlich schmerzhafter als die Langzeitschwäche der globalen Mittelklasse dürfte für Unternehmen die akute Schwäche der chinesischen Mittelklasse sein, meint Stefan Schmid, China-Experte der Unternehmensberatung Price Waterhouse Coopers.
In drei Wochen seien in China circa 3000 Milliarden an Börsenkapitalisierung vernichtet worden. Ein Crash, der sicher Folgen haben werde, sagt Schmid. «Insbesondere die neue Mittelklasse Chinas wollte vom Börsenboom profitieren und hat an den Aktienmärkten investiert.» Der Crash an Chinas Börsen werde nun Auswirkungen auf das verfügbare Einkommen haben.
Die Autoindustrie hat inzwischen reagiert: Sie hat ihre Erwartungen an das China-Geschäft mittlerweile halbiert. Auch wenn die neue Mittelklasse nicht wirklich global sein sollte: Für das Wohl und Wehe von Unternehmen ist sie längst eine feste Grösse geworden.