Jeder zweite Unternehmer will im Herbst Stellen streichen, so die Ergebnisse einer Umfrage des Beratungsunternehmen Deloitte, die in der Sonntagspresse grosse Resonanz fand. Befragt wurden 111 Unternehmen, von denen 41 Prozent die wirtschaftlichen Aussichten der Schweiz für die nächsten zwölf Monate als negativ bewerten.
Auch die Schweizer Nationalbank befragte Unternehmen zu den Konsequenzen der Aufwertung des Frankens und kam zum Ergebnis, dass seit der Aufhebung des Mindestkurses rund 22 Prozent der befragten Unternehmen ihren Personalbestand reduziert haben.
Nur moderate Zunahme der Arbeitslosigkeit
Dass sich der bereits erfolgte und wohl noch bevorstehende Stellenabbau negativ auf die Schweiz Arbeitslosenquote auswirken wird, ist zu erwarten. Allerdings dürfte die Arbeitslosigkeit weniger stark ansteigen als in der Sonntagspresse proklamiert.
Gemäss der Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF) soll die Arbeitslosigkeit nämlich – nach dem Standard des Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) berechnet – lediglich um 0,1 Punkte auf 3,3 Prozent steigen. Nach dem Standard der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) berechnet könnte die Arbeitslosigkeit gemäss KOF sogar von 4,5 auf 4,4 Prozent sinken.
Kein massiver Verlust von Arbeitsplätzen…
Auch das Seco geht nicht von einer Rezession und dem damit verbundenen dramatischen Verlust an Arbeitsplätzen aus, im Gegenteil: Wie Mediensprecher Fabian Maienfisch sagt, ist das Seco für die gesamte Schweizer Wirtschaft sogar «zuversichtlich». So habe die Beschäftigung in der Schweiz im ersten Quartal des Jahres gemäss dem Beschäftigungsbarometer des Bundesamts für Statistik insgesamt um 0,8 Prozent zugenommen. Und dies nicht nur im Dienstleistungssektor, sondern auch im Industriesektor.
Einzelne Branchen haben laut Maienfisch zwar im Vorjahresvergleich einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen, so etwa die Metall-, Elektro- oder Uhrenindustrie. Aber es könne nicht von einem massiven Stellenabbau die Rede sein: «Global gesehen gehen die Prognosen von einem Anstieg der Beschäftigung aus.» Durchaus möglich sei aber, dass sich die Situation in gewissen Branchen nicht verbessern werde.
… oder doch?
Anders schätzt der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) den bereits erfolgten Stellenabbau ein. Gemäss dem Leiter Kommunikation, Thomas Zimmermann, fielen nach Berechnungen des SGB seit Aufhebung des Mindestkurses in der Schweiz mindestens 3000 Stellen dem harten Franken zum Opfer. Auch sei der moderate Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 3,3 Prozent kein Grund zur Freude: «Die Lage ist besorgniserregend. Während in Europa die Erwerbslosigkeit zurückgeht, steigt sie bei uns an. Der Druck auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen hat sich massiv erhöht.»
Auch beim Zürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit sind die Erwartungen bezüglich der Entwicklung des Schweizer Arbeitsmarkts eher pessimistisch. Laut dem Leiter des Bereichs Arbeitsmarkt, Edgar Spieler, deutet nämlich die aktuelle, schwache saisonale Abnahme der Arbeitslosigkeit im Gastgewerbe und im Detailhandel darauf hin, dass die Zahl der Arbeitslosen im Kanton Zürich im Herbst zunehmen wird. «Wir sehen, dass das konjunkturelle Umfeld anspruchsvoll ist und stellen auch im Baugewerbe und in der Industrie eine Zunahme der Arbeitslosigkeit fest», so Spieler.
Nicht nur der starke Franken schuld
Die herrschende Unsicherheit bezüglich der Entwicklung des Arbeitsmarktes zeigt vor allem eines: Die Situation ist komplex – vermutlich komplexer als vielen lieb ist, so die Einschätzung des Präsidenten der Arbeitnehmerorganisation Travail Suisse Martin Flügel. Die aktuelle Anspannung in der Schweizer Wirtschaft lasse sich nämlich nicht nur auf die Aufwertung des Frankens zurückführen. «Es spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Nicht zuletzt aber trägt unser ungeklärtes Verhältnis zur EU zum angespannten Klima in der Schweizer Wirtschaft bei.»
Für Flügel ist die einseitige Thematisierung des harten Frankens vor allem politisch motiviert, um von den negativen Auswirkungen der Masseneinwanderungsinitiative abzulenken. Tatsächlich aber stünden nicht nur der Export-Sektor, sondern beispielsweise auch die Banken- und der Elektrizitätsbranche aufgrund fehlender Abkommen mit der EU unter Druck. Sie müssten womöglich in Zukunft ebenfalls Stellen abbauen.
Weitreichende Folgen
Für SGB-Sprecher Thomas Zimmermann ist aber klar: Sorgt die Schweizerische Nationalbank nicht wieder für einen vernünftigen Wechselkurs, drohen nicht nur Stellenabbau und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen: «Gehen in der Industrie viele Stellen verloren, droht ein Strukturwandel, der für die Schweizer Wirtschaft nachteilig wäre.»
Gerade die Finanzkrise von 2009 habe gezeigt, wie wichtig eine diversifizierte Wirtschaft für ein Land ist: «Deshalb ist es wichtig, dass wir auch den Werkplatz, den Tourismus und den Detailhandel verteidigen.»