Das Wüstenstrom-Projekt Desertec ist fünf Jahre nach seiner Gründung am Ende. Die Desertec Industrial Initiative (DII) werde sich künftig auf Dienstleistungen für ihre verbleibenden Gesellschafter konzentrieren, teilte das Gemeinschaftsunternehmen mit.
Die grosse Mehrheit der zuletzt noch 20 Gesellschafter steigen aus. Lediglich der deutsche Stromversorger RWE, die saudische Energiefirma ACWA Power und der chinesische Netzbetreiber State Grid (SGCC) bleiben an Bord. Der Versicherungskonzern Münchner Rück als treibende Kraft hinter der DII und weitere Gesellschafter verabschieden sich von der Vision, Europa mit Solarenergie aus der Sahara zu versorgen. Die ABB, die unter anderem mit dem Standort Lenzburg AG im Projekt involviert gewesen wäre, will eine weitere Zusammenarbeit prüfen.
Verschiedene Gründe für das Ende
Beim Start des Riesenprojekts 2009 hatten die Manager der Energie-, Technik- und Finanzbranche noch glänzende Augen. Fast eine halbe Billion Euro sollte in Solarkraftwerke unter der Sonne Nordafrikas und dem Vorderen Orient investiert werden. Der Sahara-Strom sollte unter dem Mittelmeer nach Süd- und Zentraleuropa fliessen und dort Kohlekraftwerke überflüssig machen.
Der ohnehin scheidende DII-Chef Paul van Son betrachtet die Arbeit der vergangenen fünf Jahre dennoch nicht als ergebnislos: «Rund 70 Projekte sind inzwischen realisiert oder in der Umsetzung», betonte er. Das Projektvolumen im laufenden Jahr betrage drei Gigawatt, bis 2020 werde es auf 35 Gigawatt zulegen.
Dass die meisten Unterstützer nun ausstiegen, habe verschiedene Gründe. Manchen seien die Kosten zu hoch, andere wie Siemens hätten sich aus der Solarenergie-Produktion verabschiedet. Hinderlich sei auch gewesen, dass einige Gesellschafter direkte Wettbewerber seien, sagte van Son.
Pech und Patzer
Das Scheitern der Wüstenträume war schon länger absehbar. Die meisten deutschen Technologie- und Baukonzerne wie Siemens, Bosch, E.ON oder Bilfinger haben dem Vorhaben bereits den Rücken gekehrt.
Auch der «Club of Rome», in dem sich Experten mit Themen wie Nachhaltigkeit und Grenzen des Wachstums beschäftigen und in dessen Mitte die Idee einst geboren worden war, wandte sich enttäuscht von der Industrie ab.
Europa konzentriert sich auf einheimische Stromproduktion
Das auf ein halbes Jahrhundert angelegte Grossprojekt stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. In der spannungsgeladenen Region Nordafrika kam es zum arabischen Frühling mit einer enormen politischen und ökonomischen Unsicherheit. Die Investoren agierten immer vorsichtiger. Hinzu kam die Reaktorkatastrophe von Fukushima in Japan, die paradoxerweise das Fortkommen der DII erschwerte.
Die Europäer wandten ihren Blick stärker auf die heimische Energiewirtschaft und trieben den Ausbau erneuerbarer Energien voran. Dabei kam ihnen ein rapider Preisverfall für Photovoltaik-Anlagen entgegen und die Kosten für Solarstrom nahmen immer mehr ab. Damit wurde die Aussicht, 15 Prozent der europäischen Gesamtenergiemenge aus Desertec-Anlagen zu beziehen, wirtschaftlich immer reizloser – Bayern etwa bezieht als Folge der deutschen Energiewende schon heute bis zu 35 Prozent seines Bedarfs aus erneuerbaren Quellen im eigenen Land.
Zudem floss der Strom über die bestehende Verbindung auf dem Meeresgrund der Strasse von Gibraltar in den vergangenen Jahren nahezu ausschliesslich von Europa nach Afrika, wie DII-Chef van Son einräumte. Spanien verkaufte den unter Strommangel leidenden Maghreb-Staaten seinen billigen Solarstrom-Überschuss aus Anlagen in Andalusien oder der Extremadura. Insgesamt verfüge Europa derzeit über Strom-Überkapazitäten.
Arbeitsverträge bei DII laufen alle aus
Aber Desertec hatte nicht einfach nur Pech. Von Beginn an gab es auch Querelen. So setzten die Europäer eher auf die vergleichsweise teure Solarthermie – die Stromgewinnung aus Sonnenhitze – und erlebten damit ein Debakel. Allein Siemens versenkte mehr als 400 Millionen Dollar mit der Technologie und stieg am Ende aus.
Die afrikanischen und arabischen Länder, die eigentlich Geschäftspartner werden sollten, beklagten sich anfangs über das koloniale Auftreten der Länder des Nordens. Dann folgte noch ein Streit über die Aufnahme des chinesischen Netzbetreibers State Grid.
Bei zwei Dutzend Mitarbeitern von DII laufen die Verträge aus. «Nächstes Jahr gibt es erstmal keine Belegschaft mehr», sagte van Son. Die Belegschaft werde später weniger als zehn Experten umfassen.