Für einmal blickte die europäische Finanzbranche nicht nach Frankfurt, sondern nach Wien. Denn dort trafen sich ausnahmsweise die europäischen Währungshüter.
Kurz vor 14 Uhr war klar: Der Leitzins im Euroraum bleibt auf dem Rekordtief von null Prozent, ebenso bleibt der Strafzins für Banken bei minus 0,4 Prozent. Dieser wird fällig, wenn Geldhäuser bei der Europäischen Zentralbank (EZB) Geld parken, statt es in Form von Krediten weiterzureichen.
Notfalls alle Instrumente nutzen
EZB-Präsident Mario Draghi machte nach dem Zinsentscheid deutlich: «Die Zinsen dürften für längere Zeit auf dem aktuellen oder sogar auf einem niedrigeren Niveau bleiben.» Die niedrigeren Zinsen sollten über die Laufzeit des Wertpapierkaufprogramms hinaus bestehen bleiben, so Draghi weiter. Der EZB-Chef bekräftigte damit seine Aussagen vom April.
Zudem bekräftigte Draghi frühere Aussagen, wonach die EZB die Geldschleusen falls notwendig weiter öffnen könnte. Die Notenbank sei bereit, notfalls alle verfügbaren Instrumente zu nutzen, sagte der Notenbankchef.
Inflation hält weiter an
Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs und wieder steigender Ölpreise: Die EZB rechnet mit einer anhaltend niedrigen Inflation in der Eurozone. Die Konsumentenpreise dürften in diesem Jahr nur um 0,2 Prozent zulegen, sagten die Experten der Notenbank in ihren Prognosen voraus.
«Die Inflationsraten werden in den kommenden Monaten niedrig oder sogar negativ sein, bevor sie in der zweiten Hälfte 2016 anziehen», sagte EZB-Präsident Mario Draghi. «Gestützt von unseren geldpolitischen Massnahmen und der erwarteten Konjunkturbelebung sollen sich die Teuerungsraten 2017 und 2018 weiter erholen.»
Im Kampf gegen eine Deflation – ein wirtschaftlich gefährlicher Preisverfall auf breiter Front – hat die EZB im März ihre Geldpolitik erneut gelockert: Der Leitzins wurde auf null gesetzt, die Strafgebühren für die bei ihr geparkten Einlagen der Banken erhöht und der Kauf von Wertpapieren ausgedehnt. Im März war noch von 0,1 Prozent ausgegangen worden. Für 2017 werden unverändert 1,3 und für 2018 weiterhin 1,6 Prozent Inflation erwartet. Damit würde das EZB-Ziel von knapp zwei Prozent zumindest näher rücken. Diesen Wert erachtet die EZB als ideal für die Wirtschaftsentwicklung.
Ihre Konjunkturerwartungen für dieses Jahr schraubten die hauseigenen EZB-Ökonomen leicht herauf. Sie rechnen für das Bruttoinlandsprodukt mit einem Anstieg von 1,6 (bisher 1,4) Prozent. Für 2017 stellen sie weiterhin 1,7 Prozent in Aussicht. 2018 sollen es 1,7 (bisher 1,8) Prozent werden. «Die wirtschaftliche Erholung schreitet schrittweise voran», sagte Draghi.