Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse durchlebt zurzeit schwierige Zeiten: Schlappe bei der Abzocker-Initiative und nun die Rücktritte von Präsident Rudolf Wehrli und Direktor Pascal Gentinetta. Dazu kürzlich der Vorwurf von Unternehmer Oscar Kambly, der Dachverband gewichte Einzelinteressen zunehmend höher.
Der Präsident des Gewerbeverbandes (SGV), Jean-François Rime, hält solche Fundamentalkritik für unberechtigt. «Economiesuisse hat grundsätzlich eine gute Arbeit geleistet», sagt er gegenüber SRF und verweist auf die Erfolge der Schweizer Unternehmen auch im Ausland.
Rime: Ein Präsident muss kampfbereit sein
SVP-Nationalrat Rime betont zugleich, dass ein Verband seine Strategien laufend anpassen müsse - insbesondere, wenn zwei Probleme gleichzeitig auftauchten. Im konkreten Fall die Minder-Initiative zum einen, die allerdings laut Rime auch «dank der Unterstützung von Vasella» nicht zu gewinnen gewesen wäre. Zum anderen ein Präsident, der die Lage nach eigenen Worten wohl etwas unterschätzt habe.
Von einer Fehlbesetzung will Rime aber nicht sprechen: «Wehrli ist sicher ein kompetenter Mann. Der Präsident eines Dachverbandes muss aber viel Zeit investieren und zu kämpfen bereit sein, wenn der Druck von allen Seiten kommt.»
Guter Draht zu Regierung und Verwaltung
Laut Rime muss nun möglichst rasch einer neuer Präsident gefunden werden. Zu einem allfälligen Wunschkandidaten will er sich nicht äussern. Er selbst habe dem Dachverband einst einen Mangel an politischem Gespür vorgeworfen. Economiesuisse wolle zwar keinen aktiven Politiker an der Spitze. Ungeachtet dessen sei nun aber jemand gefragt, der die schweizerische Politik sehr gut kenne und die Beziehungen mit Bundesrat und Verwaltung pflege.
Zur Austrittsdrohung der Uhrenindustrie stellt Rime fest, dass solche Diskussionen in einem Dachverband immer wieder geführt würden. Es sei auch im Gewerbeverband schwierig, es allen Mitgliedern stets recht zu machen. Und ausgetreten sei die Uhrenindustrie ja noch nicht.
Swisscleantech: Economiesuisse ist zu neoliberal
Offener fällt die Kritik beim 2009 gegründeten grünen Wirtschaftsverband Swisscleantech aus. Economiesuisse setze zu stark auf Neoliberalismus, stellt Präsident Nick Beglinger fest. Der Markt brauche neben liberalen Rahmenbedingungen aber auch eine nachhaltige Wirtschaftspolitik. Hier setze Economiesuisse zu wenig Akzente, etwa bei der Energiewende als grosser Chance für die Wirtschaft.
Laut Beglinger ist ein Gleichgewicht zwischen liberaler Wirtschaft und sozialer Verantwortung durchaus möglich. Dies habe nichts mit linker oder rechter Politik zu tun. Oft führe gerade dieses Denken zu Fehleinschätzungen. Dies gelte etwa für die Abzocker-Initiative, wo Economiesuisse mit einer frühzeitigen Reaktion wohl eine bessere Lösung für die Wirtschaft erreicht hätte.
Sozialpartnerschaft ernst nehmen
Beglinger betont, dass es nicht nur um die kurzfristige Optimierung gehe, auch wenn dies für gewisse börsenkotierte Unternehmen nötig sei. Der Grossteil der Schweizer Wirtschaft aber bestehe aus KMU, und gerade dort sei langfristiges Denken gefragt. «Oft ist die nachhaltigere Lösung auch die wettbewerbsfähigere», sagt Beglinger.
Die Art und Weise des Personalwechsels bei Economiesuisse bezeichnet Beglinger als «etwas merkwürdig» und nicht im Sinne der Gesamtwirtschaft. Mit Blick auf die künftige Leitung sei es nun wichtig, dass sich die Wirtschaft als glaubwürdige Partnerin bei sozialpartnerschaftlichen Themen zeige. Dies gelte bezüglich der 1:12- wie auch der Mindestlohn-Initiative. Es müssten proaktiv Lösungen gefunden werden.
Swisscleantech ist dem Dachverband Economiesuisse wegen dessen Haltung in der CO2-Frage nie beigetreten.