Der Markt wird gepriesen, der Staat verachtet. Wettbewerb ist Segen, Regulierung Schande. Die Abscheu gegen staatliche Eingriffe liegt in der DNA der Amerikaner. Das ist ein Grund, warum in den USA die Medikamentenpreise praktisch nicht staatlich reguliert sind.
Doch die kulturell verankerte Angst vor dem Staat hat unangenehme Nebenwirkungen für den Geldbeutel: Die Preise für Pillen, Spritzen und Therapien sind höher, teilweise viel höher als in vergleichbaren Ländern. Und sie steigen weiter an (s. Box «Starker Preisanstieg»).
«Es geht um Leben und Tod»
Dagegen macht Hillary Clinton, die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, im Wahlkampf mobil. «Wir machen die Firmen verantwortlich für die Preise. Niemand soll wählen müssen zwischen dem Bezahlen seiner Pillen und seiner Miete», ruft sie bei Wahlkampf-Auftritten in die begeisterte Menge.
Sie spricht damit auch Zane Gates aus der Seele. Der Arzt aus Altoona, einer Provinzstadt in Pennsylvania, ärgert sich seit Jahren über die hohen Preise: «Ist ein Menschenleben in Europa wichtiger als eines in den USA? Es geht hier um Leben oder Tod.»
Die hohen Preise können auch deshalb lebensentscheidend sein, weil weiterhin Millionen von US-Amerikanern über keine Krankenversicherung verfügen. Sie müssen die Kosten selbst übernehmen.
In den USA 10'000 US-Dollar, in Deutschland 3'000 US-Dollar
Teurer als in anderen Ländern sind auch Medikamente der Schweizer Konzerne Novartis und Roche. Eine Auswertung der Nachrichtenagentur Bloomberg zeigte vor wenigen Monaten: Das Krebsmedikament Glivec von Novartis kostet in den USA für einen Monat 10'000 US-Dollar, in Deutschland rund 3'000 US-Dollar. Das Mittel gegen Brustkrebs, Herceptin, von Roche, kostet in den USA rund 50 Prozent mehr als in Deutschland.
Grosse Unterschiede
Und noch ein Beispiel: Die Diabetes-Pille Januvin von Merck Januvia kostet nach Abzug von Rabatten in den USA für einen Monat 168 US-Dollar, in Deutschland 39 US-Dollar.
Pharmabranche wehrt sich
Beim Dachverband der Pharma-Industrie in den USA, PhRMA, verteidigt man die höheren Preise. Das Gesundheitssystem als Ganzes sei viel teurer als in anderen Ländern, sagt Robert Zirkelbach, und im Verhältnis zu den Gesamtausgaben sei der Anteil der Medikamentenkosten in den USA nicht höher.
Zirkelbach warnt die Politik denn auch, Medikamentenpreise im grossen Stil zu senken. Das würde die Forschung und Entwicklung für künftige Medikamente erschweren. Clintons Ankündigungen werden indes sehr ernst genommen. Als sie ihre Massnahmen gegen hohe Preise ankündigte, brachen Aktien von Biotech-Unternehmen um bis zu 30 Prozent ein.
Weitreichende Vorschläge Clintons
Wiederholt haben Politiker versucht, in gewissen Bereichen die Medikamentenpreise zu regulieren. Mehrheiten kamen praktisch nie zustande. So nimmt Clinton die Forderung wieder auf, dass Medicare, die staatliche Krankenversicherung für ältere Menschen, künftig mit den Pharma-Multis Preise verhandeln dürfe. Weiter will Clinton etwa die TV-Werbung für rezeptpflichtige Medikamente einschränken und sogar Importe aus dem Ausland zulassen.
«Wir können uns einfach nicht zusammenraufen»
Sara Rosenbaum ist eine der renommiertesten Experten im Bereich Gesetzgebung im Gesundheitswesen. Die Professorin an der George Washington Universität hat schon viele Anläufe für mehr staatliche Kontrolle scheitern sehen: «Ich zweifle nicht, dass Hillary Clinton sehr hart kämpfen wird für die politische Unterstützung, aber im grossen Stil etwas zu erreichen, um Medikamenten-Preise zu kontrollieren und zu verhandeln, das wäre eine epische Schlacht.»
Rosenbaum sagt, in beiden Parteien sei der Widerstand gegen mehr Regulierung gross. Und die Wahlkampf- und Parteispenden der so mächtigen Pharma-Industrie würden das Ihre dazu beitragen, dass Politiker nicht handelten. «Obwohl wir wissen, wie entscheidend es für das Wohlergehen unseres Landes wäre: Wir können uns einfach nicht zusammenraufen und wie andere Länder das Nötige tun, damit die Menschen ihre Gesundheitskosten auch in Zukunft bezahlen können.»
Heisst: Viel zu befürchten hätten Pharma-Unternehmen wohl auch unter einer Präsidentin Clinton nicht.