Steigendes Wachstum für die hochentwickelten Volkswirtschaften, rückläufige Werte in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Mit diesen Worten fasst IWF-Chefökonom Olivier Blanchard die neusten Prognosen des Währungsfonds zusammen. Damit hat sich die Gewichtung innert eines halbes Jahres klar verschoben.
Die Sorgenkinder der Weltwirtschaft sind die Schwellenländer. Viele leiden unter den tiefen Preisen für Öl und andere Rohstoffe. Schwärzer als vorher fällt die Prognose für Russland und Brasilien aus. Auch das Wachstums Chinas als inzwischen zweitgrösster Volkswirtschaft der Welt dürfte sich nach Einschätzung des Fonds weiter abschwächen.
Schockresistenz ausgelotet
Die Sorge über die Lage vieler Entwicklungsländer wird auch im Centre for Global Development geteilt, das nahe des IWF-Hauptquartiers in Washington liegt. In der Denkfabrik hat die Ökonomin Liliana Rojas-Suarez einen Index entwickelt, der die Krisenanfälligkeit von 21 Entwicklungsländern misst. Und zwar anhand von Kriterien wie Staatsverschuldung, Inflation oder Abhängigkeit von ausländischen Krediten.
Sie ging der Frage nach, ob Schwellenländer besser für einen externen Schock wie etwa eine rasche Zinserhöhung in den USA gewappnet sind. «Viele sind es nicht», stellt die Ökonomin fest. Am allerwenigsten Argentinien, was angesichts der miserablen Wirtschaftsdaten aber nicht verwundere.
Drohende Ansteckungsgefahr
Viel überraschender sei dagegen, dass selbst einige der früher hochgelobten BRICS-Staaten wie Indien und Brasilien am unteren Ende des Index landeten. Beide Länder hätten aber in den Boomzeiten nicht genügend vorgesorgt. Sie hätten hohe Auslandsschulden, wenig Währungsreserven und daher viele weniger Spielraum als vor der letzten Finanzkrise 2007, um einen externen Schock abzupuffern.
Als gefährlich bezeichnet Rojas-Suarez die drohende Ansteckungsgefahr: «Wenn grosse Schwellenländer schwächeln, könnten internationale Investoren auf die Idee kommen, sich aus allen aufstrebenden Entwicklungsländern zurückzuziehen.»
ING: Kapitalflucht im Gang
Das aber geschieht offenbar längst: Gemäss Berechnungen der Finanzgesellschaft ING haben die 15 grössten Schwellenländer im zweiten Halbjahr 2014 die grösste Kapitalflucht seit der Finanzkrise erlebt. Als Erklärung nennen die Experten einerseits die Schwäche der Schwellenländer, andererseits die Aussicht auf steigende Zinsen in den USA.
Das zeigt: Die Lage ist ernst. Für einmal könnte der IWF Recht behalten.