Krank am Arbeitsplatz, Burnout oder gar IV-Rente – Hilft mir der Chef, oder stellt mich die Firma auf die Strasse? Wohl jeder kennt einen Arbeitskollegen, der gesundheitliche Probleme erfährt – seien sie physischer oder psychischer Natur. Oder er war bzw. ist selbst betroffen.
Schweizer Arbeitgeber haben in den letzten Jahren einiges unternommen, um Personen mit körperlichen oder seelischen Problemen im Unternehmen zu halten. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist es lohnenswert, Abgänge zu vermeiden und dem Unternehmen dadurch Erfahrung und Wissen zu sichern.
Hilfe leisten beispielsweise das Online-Portal Compasso des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes sowie die lokalen IV-Stellen in den Kantonen. Unternehmer sollen rasch Hilfe und vor allem die richtigen Kontakte finden, wenn ihre Angestellten in körperlichen oder seelischen Krisen stecken.
Nach Angaben der IV-Stellenkonferenz sollen im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern 20‘000 Menschen mit gesundheitlichen Problemen ihre Arbeit behalten oder eine neue Stelle gefunden haben. Laut Martin Kaiser, der die Sozialpolitik des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes verantwortet, waren es noch mehr: «Das sind nur die Fälle, die über die IV liefen. Nicht gezählt sind darin alle Situationen, in denen Arbeitgeber gute Lösungen fanden, ohne dass es die Invalidenversicherung brauchte.»
Gesetzlicher Handlungsbedarf?
Mark Zumbühl glaubt nicht einmal an die 20‘000. Er sitzt in der Geschäftsleitung der grössten Behindertenorganisation der Schweiz, Pro Infirmis, und bezweifelt, dass so viele Personen eine nachhaltige Anstellung gefunden haben sollen.
Er kritisiert, dass die Invalidenversicherung die Eingliederung in den Arbeitsmarkt nur wenige Monate lang unterstütze: «Sie schliesst in der Regel nach einem halben Jahr das Dossier eines Bewerbers mit einer körperlichen Beeinträchtigung oder einer Behinderung. Ob diese Person nach einem Jahr oder zwei Jahren immer noch angestellt ist, weiss man nicht.»
Das soll sich ändern: Pascale Bruderer Wyss ist Präsidentin von Integration Handicap und Aargauer Ständerätin. Als Vorsitzende des Dachverbandes der Schweizer Behindertenorganisationen, will sie endlich Transparenz schaffen: «Ich will Daten sammeln, um Gewissheit zu erhalten, wie das Potenzial quantitativ aussieht in der Schweiz.» Man müsse herausfinden, ob die heutigen Massnahmen ausreichten oder gesetzlicher Handlungsbedarf bestehe.
Diese Forderung verknüpft sie mit ihrem Postulat, dass der Ständerat im Sommer überwiesen hat. Darin verpflichtet sich der Bundesrat mit allen Sozialpartnern, eine nationale Konferenz zur besseren Integration von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen durchzuführen. Gerade Menschen mit Behinderungen sind zwar immer besser ausgebildet, aber trotzdem armutsgefährdet, weil sich ihre finanzielle Situation verschlechtert hat. Ihr Zugang zum Arbeitsmarkt stagniert. Dies zeigen Erhebungen des Bundesamtes für Statistik.
Deutschland: Doppelt so viele Behinderte im Arbeitsmarkt
Intransparenz herrscht auch bei der Frage, wie viele behinderte Menschen überhaupt eine Arbeitsstelle haben. Immer wieder ist zu hören, ein Vergleich mit ausländischen Erhebungen sei schwierig, weil unterschiedliche Definitionen herrschten. Auf Anfrage von «ECO» rechnete das Bundesamt für Statistik nach und lieferte folgende Zahlen:
In Deutschland sind doppelt so viele Schwerbehinderte im Arbeitsprozess, nämlich 4,6 Prozent. Dort sind Unternehmen verpflichtet, rund 5 Prozent Behinderte zu beschäftigen. Solche Vorschriften kennen Schweizer Arbeitgeber nicht.