Kunden, die bei der Krankenkasse CSS bestimmte Zusatzverssicherungen abgeschlossen haben, können sich eine Prämie verdienen, wenn sie jeden Tag eine lange Strecke zu Fuss zurücklegen. Dazu braucht es ein Armband oder eine Smartwatch, die jeden Schritt zählt und die Daten über eine App an die CSS schickt.
Für jeden Tag, an dem ein Versicherter mindestens 10'000 Schritte zurücklegt, bekommt er 40 Rappen ausbezahlt. Für 7'500 bis 9'999 Schritte gibt es noch 20 Rappen. Maximal kann man sich so pro Jahr 146 Franken verdienen.
Was bringt das den Kunden?
Rein finanziell stehen hier Aufwand und Ertrag aber in einem schlechten Verhältnis. Vom Angebot können nur Versicherte mit einer Zusatzversicherung profitieren. Und für den doch eher bescheidenen Betrag von 146 Franken müssen die ein Jahr lang mindestens 7 Kilometer am Tag laufen.
Dennoch machen schon drei Monate nach dem Start rund 6000 Kunden mit bei Mystep, sagt Christina Wettstein von der CSS. Als Motivator sich mehr zu bewegen funktioniert die Belohnung für 10'000-Schritte nämlich erstaunlich gut.
Das bewies bereits ein Pilotversuch, den die Versicherung zwischen Juli und Dezember 2015 durchführte. Dabei zeigte sich: Lässt sich ein Kunde auf das Spiel ein, so flacht seine Motivation nicht einfach nach ein paar Tagen ab. Die Anzahl seiner zurückgelegten Schritte bleibt über ein halbes Jahr konstant – und das auf einem erstaunlich hohen Niveau.
Was bringt das der Versicherung?
Das sind gute Nachrichten für die CSS und andere Krankenkassen, die an ähnlichen digitalen Motivatoren tüfteln. Die Absicht dahinter: Das Verhalten von Kundinnen und Kunden ändern. Da es bei den Gesunden kaum Sparpotential gibt, wolle man mit dem Schritte-Zählen vor allem Menschen ansprechen, die bereits in Behandlung sind – und diese zu mehr Bewegung motivieren.
In eine ähnliche Richtung zielt auch die Gesundheitsplattform Benevita der Krankenkasse SWICA. Wer mitmachen will, kann jedes Jahr einen Fragebogen zu seinem Lebensstil ausfüllen. Eines von vielen Themen ist etwa der Alkoholkonsum. Wer auf seine Gesundheit achtet, wird mit Rabatten zwischen 5 Prozent und 15 Prozent auf den Zusatzversicherungen belohnt.
Die Versicherungen betonen, dass sie die Daten nur anonymisiert auswerten und das Vorgehen mit dem Datenschützer abgestimmt ist.
Schritt für Schritt zu Big Data bei Versicherungen
Schritte zählen und Angaben zum Lebensstil auf freiwilliger Basis sammeln – damit sind die technischen Möglichkeiten, die ein Smartphone bietet, noch lange nicht ausgeschöpft, um an Gesundheitsdaten zu gelangen.
Neue Technologien kommen laufend dazu. Verfahren etwa zur Puls- oder Blutanalyse in Echtzeit sind in Entwicklung. Doch die Krankenkassen können sich nicht nach Belieben bei solchen digitalen Technologien bedienen, um neue Wege der Prämiengestaltung zu finden. Denn die Prämie der Grundversicherung muss für alle Kunden gleich sein. Rabatte für Sportlerinnen und Ernährungsbewusste sind in der obligatorischen Versicherung nicht zulässig.
Schleichender Prozess
Wird das so bleiben? Soziologe Stefan Selke sieht die Entwicklung kritisch.
«Gesellschaftlicher Wandel ist nie etwas, das von heute auf morgen passiert, sondern schleichend», sagt der Wissenschaftler.
Über solche Angebote der Versicherungen gewöhnen wir uns langsam daran, unsere privaten Daten an die Krankenkassen weiterzugeben. Dabei sei dieses spielerische Schritte-Zählen «infantilisierend» und Gesundheit nicht nur das Produkt der eigenen Aktivität, gibt Stefan Selke zu bedenken. Andere Faktoren wie etwa Armut spielten ebenfalls eine grosse Rolle.
Der Soziologe kritisiert deshalb die Versicherungen, die mit Apps die Gesundheit ökonomisierten. Gesundheit sei keine Ware, werde aber wie eine Ware behandelt. Selbstverantwortung sei begrüssenswert, aber dass die Idee, mehr Schritte führten automatisch auch zu mehr Gesundheit, zu kurz greift, zeigt er an einem einfachen Beispiel: «Wenn ich bei mir im Schwarzwald aus dem Haus raus gehe und 10'000 Schritte laufe in der saubersten Luft, dann tut mir das wahrscheinlich gut. Es gibt aber Menschen, die an einem Ort wohnen, wo das gar nicht gut tut, weil es schrecklich verschmutzt und laut ist.»