Pierin Vincenz, der charismatische Raiffeisen-Chef, präsentierte heute das Halbjahres-Ergebnis: Der Gewinn stieg um 8,7 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode auf 395 Millionen Franken, das verwaltete Vermögen knackte erstmals die 200 Milliarden-Grenze. Das sind gute Zahlen – kurz bevor Vincenz Ende September die Raiffeisen verlässt.
SRF: Pierin Vincenz, ist Politik kein Thema für Sie?
Politik finde ich hochspannend. Da werden relevante Fragen diskutiert und entschieden. Aber selber ein Mandat ausüben möchte ich nicht.
Aber Sie gehören einer Partei an?
Ich gehöre nicht aktiv einer Partei an, aber von Haus aus – Graubünden, katholisch – bin ich natürlich CVP-nahe.
Der Raiffeisenbank scheint es blendend zu gehen. Wo könnte man sich noch verbessern?
Immobilien muss man differenzieren. Im selbstbewohnten Immobilienbereich – dem Hauptgeschäft von Raiffeisen – sind die Risiken gering.
Man kann natürlich immer besser werden – gerade in der Diversifikation, im Anlage- und Kommissionsgeschäft. Da haben wir noch Möglichkeit, uns zu verbessern. Positiv ausgedrückt: Da haben wir Potentiale. Die gilt es zu packen.
Das heisst, Sie sind zu hypothekenlastig?
Traditionell ist die Raiffeisen hypothekenlastig. Das ist unser Kern-Geschäft, unser Kern-Know-How. Wir haben in den letzten Jahren jedoch damit begonnen, uns zu diversifizieren. Heute sind 73 Prozent des Geschäfts auf der Einkommensseite Zinsgeschäft. Der Rest ist bereits Kommissions- und Handelsgeschäft.
Denken Sie nicht, dass eine Immobilienblase gibt, die irgendwann platzen könnte?
Ich sehe keine Blase. Das betonen wir schon seit Jahren. Zum grössten Teil ist die Raiffeisen im selbstbewohnten Wohneigentum tätig. Solange die Schweiz eine starke Wirtschaftsleistung bringt und attraktiv ist – Leute also hierherkommen wollen, um zu arbeiten – bleibt es auch der Immobilienmarkt. Immobilien muss man ausserdem differenzieren, und im selbstbewohnten Immobilienbereich sind die Risiken gering.
Die Zahl der Bankfilialen hat Raiffeisen um 11 auf 1004 gesenkt. Weshalb?
Jede dritte Stelle der Schweiz ist eine Bankstelle. Da müssen wir natürlich auch optimieren. In gewissen Gebieten gibt es eine Bank, aber keine Einwohner mehr. Da sind wir gezwungen, zu schliessen.
Wie viele Bankstellen wird es in Zukunft noch geben?
Einerseits möchten wir unter den 300 selbständigen Banken der Raiffeisen-Gruppe Fusionen durchführen. Vielleicht werden es dann 250 sein. Andererseits wird die Anzahl Bankstellen abnehmen, je mehr sich die Digitalisierung intensiviert. Das Bedürfnis, an jedem Ort eine Bank zu haben, wird wegfallen.
Sie hinterlassen einen Rekordwert. Sind Sie mit Ihrem ganzen Schaffen zufrieden?
Das Bedürfnis, an jedem Ort eine Bank zu haben, wird abnehmen.
Das eine oder andere kann man immer besser machen. Grosse strategische Fehler aber sind keine passiert. Würde ich eine Selbstbeurteilung machen, wäre ich milde gestimmt.
An Selbstbewusstsein hat es Ihnen noch nie gemangelt.
Daran wird es uns Schweizern überhaupt nie fehlen. Wir sind selbstbewusste, erfolgreiche, innovative Leute.
Ein anderes Thema: Weissgeldstrategie für Inländer – was halten Sie davon?
Da sollte man vorwärtsmachen und Klartext reden, dass auch in der Schweiz das von uns verstandene Bankkundengeheimnis – um nicht versteuertes Geld zu verstecken – vorbei ist.
Sie fordern, dass das Bankkundengeheimnis auch für Inländer aufgehoben wird?
An Selbstbewusstsein wird es uns Schweizern nie fehlen. Wir sind erfolgreiche, innovative Leute.
Ich glaube, es wird dazukommen. Das Verfahren ist zudem einfacher, wenn die Bankinformationen direkt ans Steueramt gesendet werden. So muss der Kunde die Steuerklärung nicht dem Bankberater zeigen. Beim Amt müssen die Daten selbstverständlich geschützt werden. Dann hat man nach wie vor eine Privatsphäre.
Kleine – auch ausländische – IT- und Internetunternehmen versuchen in den Banken-Markt einzudringen. Ist das eine Gefahr für den Schweizer Finanzplatz?
Das ist gut so und fordert uns als Institute. Ich sehe das als Stärkung für den Finanzplatz an – es bringt Know-How und Innovation. Und dieses treiben in der Regel kleinere Firmen an.
Sie haben vor dem starken Franken gewarnt. Wie beurteilen Sie rückblickend die Aufhebung des Mindestkurses durch die Nationalbank (SNB)?
Ich glaube, dass die SNB in solchen Entscheiden mehr Transparenz zeigen muss. Sie soll natürlich unabhängig bleiben. Und sich auf die Geldpolitik beschränken. Das Direktorium muss aber vergrössert werden, damit mehr fachliches Know-How in es hineinfliesst.
Ist das Fach-Know-How Ihrer Meinung nach ungenügend?
In Bezug auf die Geldpolitik genügt es. In Bezug auf die konkreten Auswirkungen der vielen Massnahmen – Negativzins, Wechselkurs, Kapitelpuffer – besitzt das Gremium aber etwas weniger Fach-Know-How. Hätte man mehr davon, könnte man dort eine breitere Diskussion führen.