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Wirtschaft Raiffeisen: Mit dem Wachstum steigt das Risiko

Die Raiffeisen-Gruppe geniesst in der Bevölkerung grosses Wohlwollen. Die Genossenschaftsbanken sind in den vergangenen Jahren im Hypothekarbereich stark gewachsen. Das ist Grund genug, die Bank und ihren Chef Pierin Vincenz einem «‹ECO›-Stresstest» zu unterziehen.

Um Raiffeisen zu fassen, lässt man am besten Zahlen sprechen:

  • Die Raiffeisen-Gruppe besteht aus mehr als 300 selbständigen Banken.
  • Nach den beiden Grossbanken ist Raiffeisen auf Platz drei der Schweizer Finanzinstitute vorgerückt.
  • Fast jede fünfte Hypothek stammt mittlerweile von Raiffeisen.
  • Das Hypothekar-Volumen der Gruppe hat in fünf Jahren mehr zugenommen als jenes der anderen systemrelevanten Banken – UBS, Credit Suisse und ZKB – zusammen: um 39 Milliarden Franken.

Die Raiffeisen-Banken haben sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Die Gruppe ist so gross geworden, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) sie seit August als «systemrelevante Bank» einstuft. Das heisst: Wegen ihrer Bedeutung für die Schweizer Volkswirtschaft muss sie erhöhten Anforderungen genügen. Denn im Falle einer Krise wäre der Staat laut SNB «faktisch gezwungen, rettend einzugreifen».

Raiffeisen-Schriftzug an Gebäude
Legende: An mehr als 1000 Filialen von gut 300 selbständigen Banken findet sich in der Schweiz der Schriftzug «Raiffeisen». Keystone

Ihr Wachstum hat Raiffeisen vor allem im Hypothekar-Bereich erzielt, sie hat nicht zuletzt von der der Finanzkrise profitiert. Viele Kunden haben sich von den Grossbanken ab- und den Raiffeisen-Banken zugewendet. Und mit Raiffeisen Schweiz ist die Bankengruppe in die grösseren Schweizer Städte expandiert. Bankenchef Pierin Vincenz – seit 15 Jahren im Amt – geniesst mit seinem volksnahen Auftreten viel Wohlwollen in der Bevölkerung.

Ein Blick auf die Finanzierung der Bank kann indes Zweifel aufkommen lassen: Raiffeisen vergibt mehr Kredite, als sie Kundengelder verwaltet: Das Verhältnis beträgt per Ende 2013 91,2 Prozent. Dass die anderen systemrelevanten Banken mehr aufzuweisen haben, ist für Pierin Vincenz kein Argument. Ein Wert um 90 Prozent ist in seinen Augen ein «Spitzenwert».

Abweichen von eigenen Regeln

Die Präsidentin der Finanzmarktaufsicht Finma, Anne Héritier-Lachat, hat 2012 zudem darauf hingewiesen, dass die Zahl der Exceptions to Policy, also Geschäfte, bei denen die Bank eine Änderung ihrer eigenen Regeln der Hypothekar-Vergabe akzeptiere oder vornehme, unter Schweizer Banken deutlich zugenommen habe.

Da die Raiffeisen-Gruppe ein überdurchschnittlich hohes Wachstum im Hypothekarbereich aufweist, liegt die Vermutung nahe, dass Raiffeisen sehr viele Ausnahmen von der Regel zugelassen hat.

Für Pierin Vincenz werden hieraus falsche Schlüsse gezogen. Definiere man einzelne Geschäfte als Ausnahmefälle, so bedeute das eine bessere Kontrolle. Als Exceptions to Policy gekennzeichnete Geschäfte würden «viel besser überwacht und immer wieder angeschaut», sagt der Raiffeisen-Chef.

Einzelbanken mit dünner Kapitalbasis

Einzelne Raiffeisen-Banken stehen zudem auf einer dünnen Kapitalbasis. Die Raiffeisen Tägerwilen (TG) zum Beispiel weist ein Eigenkapital von 2,2 Prozent auf. Das Hypothekenwachstum in Tägerwilen betrug im letzten Jahr rund 14 Prozent. Die Konkurrenz von der Thurgauer Kantonalbank brachte es auf gut 5 Prozent.

«Das gehört natürlich zum Raiffeisen-System», sagt Pierin Vincenz im «ECO»-Studio. Die einzelne Bank müsse die Eigenmittel-Vorschriften der Gruppe nicht erfüllen. Dies erlaube ein starkes Wachstum eines einzelnen Institutes. Und Vincenz relativiert: «Dieses Wachstum kommt natürlich auch davon, dass unsere Marktanteile in gewissen Gebieten klein sind, weil wir ja erst in den letzten Jahren entschieden haben, in die Agglomerationen vorzustossen.»

Wir sichern nicht ab, wenn die Nationalbank es will.

Zwei Szenarien könnten dem Eigenkapital der Bank zusetzen: Fallende Immobilienpreise und steigende Zinsen. Bei einem Anstieg des allgemeinen Zinsniveaus von zwei Prozent rechnet die SNB für Raiffeisen mit einem Eigenkapitalverlust von fast 20 Prozent. Das entspräche rund zwei Milliarden Franken. Für die Nationalbank hat die Raiffeisen-Gruppe das höchste Zinsrisiko aller Schweizer Banken.

Pierin Vincenz pocht auf den Unterschied zwischen der Schweizerischen Nationalbank als Warnerin und der Raiffeisen-Gruppe als Unternehmen. Man habe nun zwar mehr abgesichert. Man reagiere aber generell nicht, «wenn die Nationalbank es will, sondern wenn wir es unternehmerisch entscheiden.»

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