Reto Lipp: Das Freihandelsabkommen mit China hat vielen Schweizer Firmen den Zugang zum chinesischen Markt versprochen. Jetzt ist in Wirtschaftskreisen eine gewisse Enttäuschung zu spüren. Können Sie das verstehen?
Johann Schneider-Ammann: Es ist vor allem ein Markt aufgegangen. Das Geschäft hat sich verstärkt, es läuft grundsätzlich gut. Unter der Ägide des Freihandelsabkommens sind im ersten Jahr 52‘000 Aufträge mit China abgewickelt worden. Das ist ein gutes Ergebnis. Aber ich habe Kenntnis, dass das eine oder andere Dossier noch nicht optimal läuft.
Etwa die Medizinaltechnik-Branche. Sie sagt: China versucht durchs Hintertürchen über Gebühren, über die Nichtanerkennung von Zertifizierungen wieder Hindernisse einzubauen, um die eigene Industrie zu schützen und den Schweizern den Zugang nicht so einfach zu ermöglichen.
Ich glaube nicht, dass das eine systematische Angelegenheit ist – zumindest ist sie bei uns so nicht angemeldet worden. Tatsache ist: Ein Freihandelsabkommen senkt die Zölle und eliminiert die Diskriminierung. Gebühren und Verfahren sind Angelegenheiten des einzelnen Staates.
Aber wenn dann auf der anderen Seite wieder Gebühren erhoben werden, bringt das Freihandelsabkommen eigentlich gar nicht mehr so viel. Oder?
Ich glaube nicht, dass das Freihandelsabkommen auf diesem Wege ausgeschaltet werden will. Ich sehe es so: Die Chinesen sind an schweizerischer Technologie interessiert – gerade in der Medtech-Branche. Möglicherweise sind das Übergangsschwierigkeiten. Ich kann mich nicht grundsätzlicher dazu äussern.
Die Idee, dass man den Handel befördern will, dass man den Handel von Auflagen befreien will, ist wechselseitig völlig akzeptiert. Und ich gehe davon aus, dass wir Probleme lösen können, falls es sie geben sollte.
Wenn man glaubt, dass man nicht zu seinem Recht kommt – ja, dann soll man zu uns kommen.
Auch die Nahrungsmittel- und die Pharmabranche sagen: Wir haben ohnehin Schwierigkeiten, wir werden unter Umständen weiter eingeschränkt. Kann man sich dann an Sie wenden, und Sie hauen dann auf den Tisch bei den Chinesen?
Ich war mir von Anfang an im Klaren – auch aus Erfahrung mit anderen Freihandelsländern – dass nicht alles auf Anhieb ganz reibungslos laufen wird. Wenn man glaubt, dass man nicht zu seinem Recht kommt, wenn man glaubt, dass am Prinzip etwas nicht stimmig ist, ja, dann soll man zu uns kommen. Wir haben den Behördenzugang. Wir haben eine Evaluationsklausel vorgesehen, die 2016 angewendet werden wird. Spätestens dann würden wir auf den Tisch klopfen, wenn es nötig wäre.
Und dann gibt es allenfalls Nachbesserungen?
Dann kann man nachbessern. Es ist vereinbart, dass das möglich sein soll.
China wächst nicht mehr so stark: Man spricht von einer Krise, die Regierung hat ihre Währung abgewertet. Wird es in einem solchen Umfeld für Schweizer Exporteure nicht noch umso schwieriger, in China ins Geschäft zu kommen?
China ist immer noch ein riesiger Markt, und er ist immer grösser geworden. Vor 10 Jahren mit einem Wachstum von 11 Prozent waren es 200 Mrd. US-Dollar Wachstum. Heute mit einem Wachstum von knapp 7 Prozent sind es 700 Mrd. US-Dollar. Also, der Markt ist riesig und die Aufnahmefähigkeit ist gross, und unsere hohe Technologie interessiert.
Mit anderen Worten: Ich gehe davon aus, dass für unsere Export-Industrien, gerade für die Medtech, die Chancen wesentlich grösser geworden sind und noch grösser werden.
Sie haben grosse Hoffnungen gemacht mit diesem Freihandelsabkommen. Haben Sie vielleicht etwas zu viel versprochen?
Nein, ich glaube nicht. Wir haben ganz genau gesagt, was wir verhandelt haben. Wir haben ganz genau gesagt, wie wir uns vorstellen, dass dieser Vertrag sich dann umsetzen soll in der Praxis – nämlich wie alle anderen auch. Innerhalb der ersten fünf Jahre soll es etwa eine Verdoppelung des Handelsvolumens gegenüber Ländern geben, mit denen es keinen Vertrag gibt. Und es soll etwa eine Verdoppelung der direkten Investitionen im Partnerland gegenüber anderen Ländern geben. Wir haben noch etwas Zeit.