«Wie weit hat das Management der Bank wirklich das Thema erkannt, und zwar nicht nur rational, sondern auch emotional?», fragt Dirk Vater. Er ist Mit-Autor der Studie zum digitalen Wandel im Finanzgeschäft, die das Beratungs-Unternehmen Bain & Company verfasst hat.
Im Interview mit «ECO» sieht der Bankenexperte die europäischen Banken im Hintertreffen. Sie seien in den vergangenen Jahren vor allem mit der Bewältigung der Finanzkrise und der Herausforderung des Niedrigzins-Umfeldes beschäftigt gewesen. Nun stünden sie weit hinter den asiatischen und amerikanischen Banken angesichts der digitalen Entwicklungen im Finanzbereich.
Kernbeziehung zwischen Privatkunde und Bank wankt
Während Finanzinstitute zwar um die Bedrohung wüssten, sie aber laut Dirk Vater nicht verinnerlichten, bieten die Giganten der Digital-Wirtschaft immer mehr Dienste an, die bis dahin rein Sache von Banken waren. «Interessant ist bei Alibaba, Google, Facebook, Apple, den grossen digitalen Unternehmen, dass sie alle vornehmlich zunächst einmal im Zahlungsverkehr aktiv sind», sagt Dirk Vater. «Das ist deswegen sehr interessant, weil es die Kernbeziehung zwischen Privatkunde und Bank betrifft. Wenn man diesen Zahlungsverkehr beherrscht, kann man weitere Produkte darauf aufbauen.»
Die digitalen Unternehmen sind klassische «Rosinenpicker». Sie bieten, neben der Abwicklung des Zahlungsverkehrs, auch jene Geschäfte an, mit denen sich der grösste Profit erzielen lässt: die Vergabe von Konsumenten-Krediten etwa; oder Möglichkeiten zur Geldanlage. Das muss Banken umso mehr besorgen – sie könnten auf ihren unprofitablen Geschäftsbereichen sitzen bleiben.
Start-ups noch gefährlicher
Die Digital-Unternehmen gehen mit hoher Geschwindigkeit vor. Sie haben Daten über Hunderte von Millionen Kunden. Diese geben ihnen die Möglichkeit, konsequent aus Konsumentensicht zu entwickeln.
Hinzu kommt: Die Konkurrenz nähert sich noch von einer anderen Seite. «Neben diesen grossen, fast schon etablierten digitalen Unternehmen kommen ‹digitale Angreifer› auf dem Markt, die fast noch aggressiver, noch schneller und mit noch umwerfenderen Ideen versuchen, den Banken einen Teil des Kuchens wegzunehmen», sagt Dirk Vater. Und er nennt Zahlen. Vor vier Jahren habe es weltweit insgesamt 60 sogenannte Financial-Services-Start-ups gegeben, also junge Unternehmen, die in Bankgeschäfte investieren. In diesem Frühjahr habe sich deren Zahl auf 3500 erhöht.