Bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) drehen Big-Tech-Riesen wie Google oder Microsoft das grosse Rad. Sie investieren Milliarden. Das sei nicht zum Wohle der Menschheit, sagen Daron Acemoglu und Simon Johnson. Die Professoren des Massachusetts Institute of Technology kommen zum Schluss, dass US-Konzerne wegen der enormen Machtkonzentration stärker kontrolliert werden müssen, sonst gäbe es mehr Verlierer als Gewinner.
Die Wissenschaftler beschreiben dies in einem neuen Buch: «Power and Progress: Our Thousand Year Struggle Over Technology and Prosperity». Daron Acemoglu sprach mit SRF News darüber, wie künstliche Intelligenz den Menschen Vorteile schaffen könnte.
SRF News: Innovation und technologischer Fortschritt sind nicht immer nur gut, lautet eines Ihrer Hauptargumente.
Daron Acemoglu: Beide spielten in der Geschichte der Menschheit zwar eine wichtige Rolle, aber sie kamen nie allen zugute. Es gab schon immer Gewinner und Verlierer.
Technologischer Fortschritt zeigt sich heute auch in der Entwicklung von künstlicher Intelligenz. Welches sind da die Herausforderungen?
Ein paar wenige US-Tech-Konzerne haben unverhältnismässig grossen Einfluss auf die Entwicklung von KI und digitalen Technologien. Eine solche Machtkonzentration gab es in der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert nicht. Dort entschieden Tausende von Innovatoren, wohin sich die Technologie entwickeln würde, und noch viel mehr Unternehmerinnen setzten sie um.
Die Zerschlagung von Tech-Firmen ist einer unserer politischen Vorschläge. Aber nur die Unternehmen zu brechen, würde nicht reichen.
Was läuft falsch?
Die heutige Ausrichtung der Technologie legt den Schwerpunkt zu stark auf die Automatisierung. Das bringt zwar Gewinne für Anleger und Tech-Entwicklerinnen, nicht aber für Arbeitnehmende. Es verstärkt die Ungleichheit und bringt kein schnelles Produktivitätswachstum. Informationen sind zentralisiert, das heisst, wenige Firmen kontrollieren Informationen, und das schwächt die Demokratie. Sie wissen, wie die Kommunikationsmittel genutzt und wie sie zu Geld gemacht werden. Heutige Technologie ermöglicht vor allem Überwachung und Kontrolle in riesigen Dimensionen.
Der Google-Mutterkonzern Alphabet oder Microsoft vereinen viel Macht – auch in der Entwicklung von KI. Müsste man die Unternehmen also zerschlagen?
Die Zerschlagung von Tech-Unternehmen ist nur einer unserer politischen Vorschläge. Ein Grund, der dafürspricht: Es sind die grössten Konzerne, welche die Menschheit je gesehen hat, mit einer unglaublichen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Macht. Aber nur die Unternehmen zu brechen, würde nicht reichen.
Weshalb?
Es gibt politische Vorschläge, was Regulierung von KI anbelangt. Regulierung ist zentral, aber sie ist wegen der Art der Technologie schwierig. Entscheidend ist Datenkontrolle. Nehmen Sie das Beispiel der Software ChatGPT, die Daten anderer Leute auf Wikipedia frei nutzt. ChatGPT hätte ohne sie kein Wissen. Wer hat dem Unternehmen die Erlaubnis gegeben, Tausende von Wissensarbeiter zu enteignen und die kreative Arbeit aller Künstlerinnen der Geschichte zu verwenden?
Diesen Fragen müssen wir uns stellen und eine Art Eigentumsrechte einführen, oder regeln, wessen Daten auf welche Weise und gegen welche Entschädigung verwendet werden dürfen.
Sie fordern alternative Geschäftsmodelle.
Ja, denn ich glaube, dass mit KI viele Fehler der sozialen Medien wiederholt werden. Dort dominieren Geschäftsmodelle, mit denen die Informationen zu Geld gemacht werden: mit individualisierter, zielgerichteter Werbung. Das ist der Grund des Übels. Deshalb schlagen wir Steuern auf digitale Werbung vor, um Raum für alternative Geschäftsmodelle und eine grössere Vielfalt zu schaffen.
Zudem begünstigen westliche Gesellschaften – insbesondere in den USA – die Automatisierung: Unternehmen, die in Maschinen oder Algorithmen investieren, werden subventioniert, und wer in Arbeit investiert, wird besteuert. Das muss ausgeglichen werden.
Sie meinen also, die Arbeit des Menschen soll ergänzt, nicht ersetzt werden.
Ja, wir brauchen eine konzertierte Aktion, um mehr Technologien zu schaffen, arbeitnehmerfreundliche Technologien, die nicht automatisieren, sondern den Menschen ergänzen und ihm neue Aufgaben geben. Wir sollten nicht Pädagogen, Gesundheitspersonal oder Künstlerinnen ersetzen, sondern ihnen bessere Werkzeuge bereitstellen, wovon die Menschheit profitieren kann. Dafür braucht es zum Beispiel staatliche Unterstützung, die Wettbewerb erzeugt.
Doch viele Menschen fürchten, ihre Arbeit werde durch KI ersetzt.
Das stimmt, aber im Gegensatz zu vielen Expertinnen und Experten sagen wir, dass die Einführung von KI die Produktivität nicht erhöht. Zudem ist es schwierig, schnellen technologischen Fortschritt zu erzielen, indem man Menschen ersetzt.
Ich glaube, eine durch KI gesteuerte Zukunft ist ein Wunschtraum.
Viel förderlicher für schnelles und vor allem gemeinsames Wachstum ist es, wenn man den Menschen ergänzt. Ich glaube, eine durch KI gesteuerte Zukunft ist ein Wunschtraum. Wenn wir höhere Produktivität und sinnvollere Arbeitsplätze schaffen wollen, müssen wir die menschlichen Fähigkeiten nutzen.
Ist künstliche Intelligenz gar keine Bedrohung?
KI wird zwar immer beeindruckender, deshalb war ich auch einer der Erstunterzeichner des offenen Briefs von US-Wissenschaftlern, die ein Forschungsmoratorium der Technologie verlangten. Aber im Gegensatz zu einigen KI-Experten glaube ich nicht an existenzielle Risiken, hervorgerufen durch künstliche Intelligenz – zumindest nicht in den nächsten Jahrzehnten oder sogar darüber hinaus.
Wir sollen uns auf die alltäglicheren Dinge konzentrieren, wie Überwachung, Datenerfassung, Arbeitsplatz-Automatisierung, Ungleichheit und die Konsequenzen für die Demokratie als Staatsform.
Das Interview führte Harry Stitzel.