Ohne Einwilligung der Frau das Kondom während des Sex abstreifen; wie ist das juristisch zu bestrafen? Darüber sind sich die Gerichte in der Schweiz nicht einig. Am Donnerstag hat das Zürcher Obergericht über einen solchen Fall geurteilt.
- Die Richter haben den Mann freigesprochen.
- Zwar hält das Gericht «Stealthing» grundsätzlich für strafwürdig und bezeichnet das Vorgehen des Mannes als moralisch verwerflich, doch es bewege sich in einer Gesetzeslücke.
- Der Tatbestand der Schändung sei nicht erfüllt.
- Damit folgt das Obergericht dem Bezirksgericht Bülach, welches den Mann diesen Februar ebenfalls freigesprochen hatte.
Was ist passiert?
Der Vorfall geschah im Herbst 2017. Der damals 19-Jährige und die 18-jährige Frau lernten sich über die Plattform Tinder kennen. Nach dem Date gingen die beiden in die Wohnung der Frau, wo es zu Sex kam. Damit waren beide einverstanden.
Allerdings bestand die Frau darauf, dass der Mann ein Kondom verwendet. Damit war der Mann zunächst einverstanden. Während des Aktes entledigte er sich jedoch des Kondoms, ohne die Frau darüber zu informieren. Was genau geschah, ist jedoch umstritten.
Der Student behauptet, es sei die junge Frau gewesen, die ihm das Kondom abgezogen hatte um ihn oral zu befriedigen. Daraufhin habe er gemeint, sie hätte ihn aufgefordert, erneut in sie einzudringen. Als sie dann protestierte, habe er sofort aufgehört.
Sie schildert das Ereignis ganz anders. Auf keinen Fall habe sie ihm das Kondom abgestreift. Er sei von hinten in sie eingedrungen, weshalb sie nicht sah, dass er kein Präservativ mehr trug. Als sie dies bemerkte, habe sie ihn unverzüglich aufgefordert aufzuhören.
In den nächsten Monaten habe sie eine HIV-Prophylaxe machen müssen. Sie habe ständig in Unsicherheit gelebt. Schliesslich zeigte sie den Mann an, woraufhin die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Schändung gegen ihn einleitete. Der Staatsanwalt forderte eine bedingte Freiheitsstrafe von 14 Monaten wegen Schändung. Die junge Frau habe klar gesagt, dass sie Sex nur mit Kondom wolle. Das sei keine Bagatelle.
Wie urteilte das Bezirksgericht?
Im Februar 2019 war der Fall in Bülach vor Bezirksgericht. Es sprach den Mann frei – obwohl die Richter der Schilderungen der Frau glaubten. Zwar habe sich der Mann nicht an die vereinbarten Regeln zum Sex gehalten, in der Schweiz sei dies jedoch juristisch nicht strafbar, entschied das Gericht im Frühjahr.
Eine Verurteilung wegen Schändung – wie die Staatsanwaltschaft gefordert hatte – sei nicht möglich, da der eigentliche Sex einvernehmlich gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft war mit diesem Urteil nicht einverstanden und zog den Fall deshalb vor Obergericht weiter. Ein Schritt, der übrigens auch das Bezirksgericht begrüsste.
Das «Stealthing» treffe eine Gesetzeslücke, bei der das Bundesgericht mit einem Urteil Rechtssicherheit schaffen müsse.
Wie urteilten die Schweizer Gerichte bisher?
Diese Gesetzeslücke zeigt sich auch in den bisher behandelten Fällen. Es kam in der Schweiz bislang zu zwei Anklagen.
Im Frühjahr 2017 kam es zur ersten Gerichtsverhandlung zu einem solchen Fall. Das Strafgericht in Lausanne verurteilte einen damals 47-jährigen Mann wegen Vergewaltigung. Er hatte während des Geschlechtsverkehrs das Kondom abgestreift, ohne es der Frau zu sagen.
Der Mann zog das Urteil weiter vors Waadtländer Kantonsgericht. Dieses bestätigte zwar das Strafmass, sah das Vergehen jedoch nicht als Vergewaltigung. Das Kantonsgericht stufte die Handlung als Schändung ein.
Wiederum anders beurteilte das Baselbieter Strafgericht diesen Januar einen ähnlichen Fall. Ein 35-jähriger Mann hatte in seiner Wohnung beim Sex mit einer Escort-Dame das Präservativ heimlich entfernt. Obwohl klar abgesprochen war, dass die Frau auf einem Kondom bestand. Das Basler Gericht sprach den Mann jedoch frei. Die Begründung des Richters: Die Tat entspreche nicht den Kriterien einer Schändung.