Mein Abenteuer am Tödi beginnt verhalten. Kaum am Ausgangspunkt in Linthal angekommen, ziehen Wolken am Himmel auf und ein Gewitter entlädt sich direkt über uns. Uns, das ist Roman Fischli, Glarner Bergführer, auch bekannt als «Wildi» und ich, SRF-1-Outdoor-Reporter Marcel Hähni.
«Wildi» wird mich auf der Tour zum Tödi durch die Südwestwand führen. Eine ähnliche Strecke, wie sie am 1. September 1824 die beiden Bündner Jäger Placidus Curschellas und Augustin Bisquolm gemacht haben. Sie gelten als die Erstbesteiger des Tödi.
König der Glarner Berge – das Tödimassiv
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Bild 1 von 8Legende: Die Tödi Südwestwand Am 1. September 1824 bestiegen Placidus Curschellas und Augustin Bisquolm als erste Menschen den 3612 Meter hohen Piz Russein, den höchsten Punkt am Tödi. Sie stiegen von der Surselva her durch die Südwestwand. SRF/Marcel Hähni
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Bild 2 von 8Legende: Ausgangspunkt Planurahütte Ein möglicher Ausgangspunkt zur Südwestwand ist die Planurahütte auf knapp 3000 Meter über Meer. Besprechung vor der Tour: Bergführer «Wildi», Hüttengehilfin Gaby und Marcel Hähni, SRF-1-Outdoor-Reporter. Im Hintergrund zu sehen: das Tödimassiv. SRF/Marcel Hähni
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Bild 3 von 8Legende: Felsen, Eis und viel Geröll Die Tour am Tödi verlangt eine sehr gute Kondition und sicheres Gehen über Felsen, Geröll und Eis am Gletscher. Während dem grössten Teil der Tour geht man gesichert am Seil. Man muss schwindelfrei sein. SRF/Marcel Hähni
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Bild 4 von 8Legende: Gesicherte Pause am Fels Die abwechslungsreiche Route über die imposante Westwand lässt das Herz jedes Abenteurers höherschlagen. Die luftigen Schlüsselstellen und kurzen Kletterpassagen machen die Begehung des Tödi von Westen her besonders lohnenswert. SRF/Marcel Hähni
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Bild 5 von 8Legende: Gipfel-Zwischenziel erreicht Am über 3600 Meter hohen Gipfel, am Piz Russein, kann auch im August über Nacht Schnee fallen. SRF/Marcel Hähni
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Bild 6 von 8Legende: «Wildis» Wohnzimmer Bergführer «Wildi» hat schon unzählige Touren am Tödi geführt und kennt die Gegend wie sein Wohnzimmer. In den vergangenen Jahren müssen Routen aber wegen der klimatischen Veränderungen fast mehrmals pro Saison geändert werden. SRF/Marcel Hähni
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Bild 7 von 8Legende: Abstieg über Gletscher Der Abstieg Richtung Fridolinshütte führt über den Bifertengletscher. Ein Gletscher mit imposanten Spalten. Hier muss man sich auf die Kenntnisse des Bergführers verlassen können. SRF/Marcel Hähni
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Bild 8 von 8Legende: Verspätete Mittagspause auf der Fridolinshütte Wenn man hier auf der Fridolinshütte ankommt, hat man bereits rund 1 500 Höhenmeter Aufstieg und knapp 1 000 Meter Abstieg in den Beinen. Unterwegs ist man hier seit rund acht Stunden. Nun kommt noch ein rund dreistündiger Abstieg als Finale dazu. SRF/ Marcel Hähni
Als Erstes gilt es, den Aufstieg zur Planurahütte hinter sich zu bringen. Dafür kann man für ein Stück des Weges den Dienst eines Alpentaxis in Anspruch nehmen. Das machen wir.
Unterwegs treffen wir auf die Hüttenwartin Silvia und einen weiteren Bergführer, die damit beschäftigt sind, den Zustieg zur Hütte auszubessern. In der Hütte selbst treffen wir auf andere Alpinisten, aber keiner davon will am nächsten Tag zum Tödi.
Den Tödi muss man sich verdienen. Er ist anspruchsvoll und bietet für jeden Alpinisten etwas.
Nach dem Znacht gibt es eine Tourbesprechung, bei der ich erfahre, dass ich den grössten Teil der Tour am Seil gesichert gehen werde. Es erwarten mich gut 1 500 Meter Aufstieg über Geröll und Felsen in steilen Passagen. Zudem müssen wir am Gipfel mit Neuschnee rechnen. Und das im August! «Den Tödi muss man sich verdienen. Er ist anspruchsvoll und bietet für jeden Alpinisten etwas.» Was diese Aussage von «Wildi» bedeutet, merke ich am nächsten Tag schnell.
Steigeisen an und ab, an und ab
Nur schon das mehrmalige An- und Abmontieren der Steigeisen bringt mich ins Schwitzen. Auch der ständige Wechsel des Untergrunds, Geröll, Eis und Felsplatten setzen mir zu. Doch das ist alles vergessen, als wir nach gut vier Stunden am Gipfel im Neuschnee stehen. Es windet und ist kalt auf 3612 m ü. M. am Piz Russein. Das Gipfelfoto täuscht. Nur ganz kurz nach der Aufnahme reisst das Wetter auf. Die Sonne erreicht uns. Ich bin glücklich.
Abstieg durch den Gletscher
Jetzt geht es aber erst richtig los. Es erwarten uns über 2400 Meter Abstieg. Wie sich das am Ende auf meine Kniegelenke auswirken wird, erahne ich hier noch gar nicht. Denn zuerst geht es locker flockig über den schneebedeckten Gletscher. Die tiefen Gletscherspalten sehe ich erst im unteren Teil und bin dankbar, dass «Wildi» praktisch jede dieser Spalte zu kennen scheint.
Ich kann nicht mehr. Ich habe keine Kraft mehr in den Armen und muss mich fallen lassen.
Dann die Challenge an der Gelben Wand. Am Seil gesichert über den Felsen hinunterklettern. «Ich kann nicht mehr. Ich habe keine Kraft mehr in den Armen und muss mich fallen lassen.» Falle ich jetzt ungebremst ins Seil und verletzte mich? – Nein, ich befinde mich 20 cm über dem Boden. Gerettet.
Was jetzt noch kommt, ist eine mühsame Plackerei. Die Füsse brennen, die Gelenke schmerzen. Über die alte Grünhornhütte, die älteste nicht mehr in Betrieb stehende SAC-Hütte, kommen wir zur Fridolinshütte. Hier gibt es endlich ein kühles Bier. Dass wir jedoch weitere drei Stunden Abstieg vor uns haben, will ich nicht so recht wahrhaben. Aber zum Schluss sind es genau noch einmal so viele Stunden. Ich bin erledigt, aber «usinnig glücklig».