«Das einzige Deutschsprachige Dorf des Tessins.» Zumindest touristisch wird Bosco/Gurin so vermarktet. Was ist da dran? Ist es tatsächlich möglich, dass hier, zuhinterst in einem Tessiner Tal auf über 1500m ü. M., umgeben von hohen Bergen und italienischsprachigen Gemeinden eine Deutsche Sprachinsel existiert? Ja ist es. Aber beginnen wir von vorn.
Das Walserdorf
Auf den ersten Blick wirkt Bosco/Gurin auf mich wie ein normales hübsches Tessiner Bergdorf. Hinweistafeln und die Speisekarte des Restaurants beim Dorfeingang sind auf italienisch geschrieben. Doch dann, beim Anblick der Holzhäuser und Kornspeicher auf Stelzen, wähne ich mich im Wallis. Auf einer Hauswand lese ich die Inschrift «ts aalt Schüelhüüs» – klingt auch nach Wallis.
Wir haben Angst, dass unsere Sprache verschwindet.
«Das ist Gurinerditsch», erklärt mir Cristina Lessmann-Della Pietra später. Es ist ein archaischer Dialekt, den die Walser mitbrachten, als sie vor über 700 Jahren aus dem Oberwallis auswanderten und sich hier niederliessen. Die Einheimischen sprechen diese Sprache tagtäglich und sind sehr stolz darauf. Sie erklären mir, es gäbe im «Gurinerditsch» Worte, die kenne man nur hier.
Lessmann-Della Pietra liegt der Erhalt der Walserkultur am Herzen. Sie ist die Kuratorin des Ortsmuseums. Alles Materielle kann sie dort ausstellen, doch Sorgen bereitet ihr die Zukunft der Sprache. Von den 50 Einwohnern sprechen ungefähr 35 «Gurinerditsch». Hinzu kämen rund 110 Exil-Guriner, welche die Sprache zwar noch sprechen, aber nicht mehr hier leben.
Überall spricht man «Welsch»
Zurzeit gibt es im Dorf eine Familie mit schulpflichtigen Kindern. Eine Schule gibt es in Bosco/Gurin seit 2002 nicht mehr, deshalb müssen die SchülerInnen ins Maggiatal. Dort spricht man «Welsch» (Guriner-Deutsch für Italienisch).
Bürgermeister Alberto Tomamichel teilt die Sorge um die sprachliche Zukunft. Früher oder später wird es zu einer Fusion mit den Nachbargemeinden kommen. Dann seien sie als Deutschsprachige definitiv in der Unterzahl.
Nach einer Fusion gäbe es keine deutschsprachige Gemeinde mehr.
Bosco/Gurin versucht sich für diesen Moment mit einer «Charta für die Förderung der Deutschen Sprache» zu wappnen. Eine zukünftige Gemeinde muss die Forderungen darin akzeptieren.
Die letzen ihrer Art?
Die Tochter des Bürgermeisters studiert Germanistik. Das ist natürlich kein Zufall. Die Guriner, die ich treffe sind alle stark verwurzelt mit ihrer Heimat. Sie möchte helfen, ihre Muttersprache zu erforschen, erzählt mir Chiara Tomamichel.
Mit 23 ist sie eine der Jüngsten. Zurzeit hilft sie mit, alle Verben des «Gurinertitschs» in einem Wörterbuch zu dokumentieren. Dennoch stimmt sie die potentielle sprachliche Zukunft traurig.
Für den Erhalt der Sprache braucht es auch Leute, die sie sprechen. Ich kann sie bloss dokumentieren.
Und ihre persönliche Zukunft? Sie wolle in Bosco/Gurin bleiben. Ihr Berufswunsch? Deutschlehrerin.
Stolz auf die Einzigartigkeit
Auch Alfio Sartori könnte sich nicht vorstellen, woanders zu leben. Mit 35 zählt auch er zur jüngeren Generation. Hier oben liesse es sich gut leben und es gäbe Leben, schwärmt der Filialleiter der Post. Einen Grossteil dieses Lebens hat Bosco/Gurin ihm zu verdanken. Sartori ist nicht nur Pöstler, er ist auch der Bäcker und Bierbrauer des Dorfes. Und ein Optimist.
Menschen, die das Stadtleben satt haben. Vielleicht kommen die zu uns.
Er sei gerne innovativ. Seine Biere benennt er nach «Gurinerditischen» Sagen. Die Einzigartigkeit Bosco/Gurins müsse bekannt gemacht werden. Seine Produkte könnten ja dabei helfen. Er schmunzelt: «Vielleicht haben wir in 20 Jahren ja doppelt so viele Einwohner.»
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