Angestellte in der Stahlindustrie protestierten anfangs Woche gegen den drohenden Stellenabbau. Wie soll es weitergehen mit gefährdeten Industrien? Professor Jan-Egbert Sturm spricht über die Notwendigkeit von Strukturwandel in der Wirtschaft.
SRF: Die Schweiz scheint nicht (mehr) ein guter Standort für die Stahlindustrie zu sein. Sehen Sie das auch so?
Jan-Egbert Sturm: Wir sehen, dass die Wirtschaftswelt sich stetig ändert. Es sieht danach aus, dass es für Stahlwerke in der Schweiz immer schwieriger wird. Das ist eine Form von Strukturwandel, den wir in den letzten Jahrzehnten auch in anderen Bereichen gesehen haben, zum Beispiel in der Textilindustrie. Damit müssen wir lernen, zu leben.
Es heisst, dass das Stahlwerk in Gerlafingen systemrelevant und gut für das Recycling sei. Und es helfe, CO₂ zu sparen. Der Bund soll jetzt einspringen und unterstützen, fordert eine Motion im Nationalrat. Was halten sie davon?
Die Schweiz ist in den vergangenen Jahrzehnten gut damit gefahren, den Strukturwandel zuzulassen. Das sorgt dafür, dass die Schweiz zu einem der innovativsten Länder auf der Welt geworden ist. Wir haben zugelassen, dass Bereiche, in denen wir nicht länger wettbewerbsfähig sind, aufgelöst werden. Dadurch können andere Bereiche stärker in den Vordergrund rücken. Als Ökonom ist das eigentlich am meisten wünschenswert, auch wenn es natürlich bitter ist. Das geht auch mit allen möglichen sozialen Kosten einher.
Sie haben das Wort «Strukturwandel» erwähnt. Was meinen Sie genau mit Strukturwandel?
Wenn wir zum Beispiel zwanzig oder dreissig Jahre zurückgehen, waren wir im Textilbereich damals viel stärker als heute. In anderen Bereichen waren wir viel schwächer. Zum Beispiel in der Pharma-, Chemie- oder Biotechnologieindustrie. Damals waren diese bescheidener, als sie es heute sind. Wir sehen, dass wir inzwischen eine andere Wirtschaftsstruktur haben, als noch vor einigen Jahrzehnten.
Die Schweiz hat sich auf Bereiche konzentriert, in denen sie wirklich gut ist.
Wir sind wettbewerbsfähig geworden, zum Beispiel im Pharma-Bereich. Oder auch in Teilen der Maschinenindustrie, oder in der Uhrenindustrie. Wir sehen auch, dass das die Produkte sind, die wir immer stärker exportieren. Die Schweiz ist sehr gut damit gefahren, sich auf die Bereiche zu konzentrieren, in denen sie wirklich gut ist.
Ist das aus ökonomischer Sicht einfach der Lauf der Zeit?
Ja, so kann man das formulieren. Wir sehen technologischen Fortschritt und dass wir heute andere Dinge produzieren als früher. Die Nachfrage hat sich verändert. Wir wollen nicht mehr die gleiche Art von Produkten haben, wie vor zehn, zwanzig oder dreissig Jahren. Und das sorgt dafür, dass die Strukturen der Wirtschaft sich ändern müssen. Das ist immer schmerzhaft. Aber am Ende des Tages, ist es für die Gesellschaft vorteilhaft.
Die Schweiz hat immer noch verschiedene Industrien: Maschinen, Elektro, Chemie, Pharmazeutik, Uhren etc. Kommt einmal der Tag, an dem die Schweiz wegen des Strukturwandels gar keine Industrien mehr hat?
Das ist schwer vorstellbar. Das ist genauso wie mit der Agrarindustrie. Wir werden weiterhin auch im Agrarsektor aktiv bleiben. Wir sehen auch, dass die Schweiz ein relativ guter Standort ist. Im internationalen Vergleich haben wir viele Industrie-Firmen. Das wird sich wahrscheinlich demnächst nicht gross ändern. Es sind halt andere Industrie-Firmen, die immer stärker in Nischen hineingehen, in Hochtechnologie-Branchen hineingehen. Dort haben wir mit unserem sehr guten Wissen und Standort grosse Vorteile.
Das Gespräch führte Sandra Schiess.