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Drittes Geschlecht - Chancen und Herausforderungen
Aus Forum vom 23.05.2024. Bild: iStock/Alona Siniehina
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Geschlechtsidentität Drittes Geschlecht – Chancen und Herausforderungen

Die Schweiz soll in amtlichen Dokumenten einen dritten Geschlechtseintrag zulassen. So forderte es Nemo nach dem ESC-Sieg. Die Auswirkungen wären enorm.

Nemo hat unmittelbar nach dem Sieg beim Eurovision Song Contest eine politische Forderung formuliert: Die Schweiz soll für nichtbinäre Menschen eine eigene amtliche Kategorie schaffen. Die Debatte um ein drittes Geschlecht ist damit neu lanciert.

Bundesrat dagegen

Die Nationale Ethikkommission NEK empfahl 2020 in einem Bericht die Einführung einer dritten Kategorie im Personenstandsregister. Die heutige Praxis der amtlichen Registrierung des Geschlechts lasse die Interessen von Menschen mit nicht binärer Geschlechtsidentität ausser Acht, so die Begründung. Gemäss Ethikkommission gibt es in der Schweiz rund 103’000 bis 154’000 non-binäre Menschen.

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Archiv: Wie gross sind Chancen für Eintrag als nonbinäre Person?
Aus 10 vor 10 vom 13.05.2024.
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Der Bundesrat lehnte 2022 die Einführung eines dritten Geschlechtseintrages ab. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür seien nicht erfüllt. Zudem müssten Verfassung und zahlreiche Gesetze geändert werden.

Trans, cis, intergeschlechtlich: Glossar zu weiteren Begriffen

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Das Transgender Network Switzerland (TGNS), eine Organisation von und für trans Menschen, definiert wie folgt:

  • Trans Menschen haben eine andere Geschlechtsidentität, als ihnen bei der Geburt zugeteilt wurde. Trans Menschen insgesamt sind kein separates oder drittes Geschlecht.
  • Personen, deren Geschlecht mit der Zuteilung bei Geburt übereinstimmt, nennt man cis Menschen. Das Gegenteil von trans ist cis.
  • Nichtbinäre Personen sind weder (ausschliesslich) Männer noch (ausschliesslich) Frauen. Viele, aber nicht alle, sehen sich als Teil der trans Gemeinschaft.
  • Genderfluid bezeichnet Personen, die sich jenseits der Binarität identifizieren und zwischen verschiedenen Formen des geschlechtlichen Ausdrucks und Empfindens wechseln.
  • Intergeschlechtliche Menschen werden mit Geschlechtsmerkmalen geboren, welche gleichzeitig weiblich und männlich, nicht ganz weiblich oder männlich oder weder weiblich noch männlich sind. Intergeschlechtlichkeit betrifft körperliche Merkmale wie Chromosomen, Geschlechtsmerkmale oder Hormonfunktionen.

Rechtliche Herausforderungen

Tatsächlich hätte die Einführung eines dritten Geschlechtseintrages weitreichende Konsequenzen. Im binären System haben Frauen und Männer unterschiedliche Rechte und Pflichten, unter anderem in folgenden Bereichen.

  • Militär- und Ersatzdienstpflicht: Sie gilt nur für Männer. Frauen können sich freiwillig anmelden.
  • Hinterbliebenenrente: Bei der Wittwen-/Wittwerrente werden Frauen und Männer nicht gleich behandelt.
  • Frauen-Quoten in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung: Gemäss Aktienrecht muss zukünftig jedes Geschlecht zu mindestens 30 Prozent (VR) bzw. 20 Prozent (GL) vertreten sein.
  • Krankenversicherung: In der Grundversicherung sind Männer und Frauen grundsätzlich gleichgestellt. Bei Zusatzversicherungen zahlen Frauen mehr als Männer.
  • Autoversicherung: Gemäss einer Untersuchung vom Vergleichsportal Comparis (2022) zahlen Männer in vielen Fällen bis zu vier Prozent mehr als Frauen.
  • Strafvollzug: Frauen und Männer haben getrennte Gefängnisse.
  • Garderoben, Toiletten und Duschen sind heute im Normalfall nach Mann/Frau getrennt.

Wie sollen nichtbinäre Personen inkludiert werden? Gilt gleiches Recht und gleiche Pflichten für alle? Soll dort, wo eine Gleichstellung nicht möglich ist, weiterhin das biologische Geschlecht den Ausschlag geben? Oder braucht es separate Lösungen für das dritte Geschlecht?

Das Ausland ist der Schweiz voraus

Im internationalen Vergleich hinkt die Schweiz hinterher. In Deutschland und in den Niederlanden ist beim Geschlecht ein dritter Eintrag oder keine Angabe möglich. Österreich kennt gar sechs Kategorien: Mann, Frau, Divers, offen, Inter, keine Angabe. Am weitesten geht Island. Ab 15 Jahren kann man sein Geschlecht als «X» nachregistrieren, und dies ohne Untersuchung oder Behörden-Interviews.

Auch ausserhalb Europas, u. a. in Argentinien, Pakistan, Indien, Australien, Neuseeland, USA und in Teilen Kanadas, ist ein drittes Geschlecht im Reisepass möglich.

Ist in der Schweiz die Zeit gekommen für einen dritten Geschlechtseintrag? Wo liegen die Chancen und die grössten (juristischen) Herausforderungen bei der Einführung? Gibt es Lösungen für konkrete Probleme oder Härtefälle? Diese Fragen diskutieren wir im Forum.

Die Gäste im Forum am 23. Mai

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Legende: SRF
  • Andrea Caroni, FDP Ständerat (AR)
  • Liam Bohner, Geschäftsführende Person HAZ – Queer Zürich

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Radio SRF 1, 21.5.2024, 17:20 Uhr

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