Nemo hat unmittelbar nach dem Sieg beim Eurovision Song Contest eine politische Forderung formuliert: Die Schweiz soll für nichtbinäre Menschen eine eigene amtliche Kategorie schaffen. Die Debatte um ein drittes Geschlecht ist damit neu lanciert.
Bundesrat dagegen
Die Nationale Ethikkommission NEK empfahl 2020 in einem Bericht die Einführung einer dritten Kategorie im Personenstandsregister. Die heutige Praxis der amtlichen Registrierung des Geschlechts lasse die Interessen von Menschen mit nicht binärer Geschlechtsidentität ausser Acht, so die Begründung. Gemäss Ethikkommission gibt es in der Schweiz rund 103’000 bis 154’000 non-binäre Menschen.
Der Bundesrat lehnte 2022 die Einführung eines dritten Geschlechtseintrages ab. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür seien nicht erfüllt. Zudem müssten Verfassung und zahlreiche Gesetze geändert werden.
Rechtliche Herausforderungen
Tatsächlich hätte die Einführung eines dritten Geschlechtseintrages weitreichende Konsequenzen. Im binären System haben Frauen und Männer unterschiedliche Rechte und Pflichten, unter anderem in folgenden Bereichen.
- Militär- und Ersatzdienstpflicht: Sie gilt nur für Männer. Frauen können sich freiwillig anmelden.
- Hinterbliebenenrente: Bei der Wittwen-/Wittwerrente werden Frauen und Männer nicht gleich behandelt.
- Frauen-Quoten in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung: Gemäss Aktienrecht muss zukünftig jedes Geschlecht zu mindestens 30 Prozent (VR) bzw. 20 Prozent (GL) vertreten sein.
- Krankenversicherung: In der Grundversicherung sind Männer und Frauen grundsätzlich gleichgestellt. Bei Zusatzversicherungen zahlen Frauen mehr als Männer.
- Autoversicherung: Gemäss einer Untersuchung vom Vergleichsportal Comparis (2022) zahlen Männer in vielen Fällen bis zu vier Prozent mehr als Frauen.
- Strafvollzug: Frauen und Männer haben getrennte Gefängnisse.
- Garderoben, Toiletten und Duschen sind heute im Normalfall nach Mann/Frau getrennt.
Wie sollen nichtbinäre Personen inkludiert werden? Gilt gleiches Recht und gleiche Pflichten für alle? Soll dort, wo eine Gleichstellung nicht möglich ist, weiterhin das biologische Geschlecht den Ausschlag geben? Oder braucht es separate Lösungen für das dritte Geschlecht?
Das Ausland ist der Schweiz voraus
Im internationalen Vergleich hinkt die Schweiz hinterher. In Deutschland und in den Niederlanden ist beim Geschlecht ein dritter Eintrag oder keine Angabe möglich. Österreich kennt gar sechs Kategorien: Mann, Frau, Divers, offen, Inter, keine Angabe. Am weitesten geht Island. Ab 15 Jahren kann man sein Geschlecht als «X» nachregistrieren, und dies ohne Untersuchung oder Behörden-Interviews.
Auch ausserhalb Europas, u. a. in Argentinien, Pakistan, Indien, Australien, Neuseeland, USA und in Teilen Kanadas, ist ein drittes Geschlecht im Reisepass möglich.
Ist in der Schweiz die Zeit gekommen für einen dritten Geschlechtseintrag? Wo liegen die Chancen und die grössten (juristischen) Herausforderungen bei der Einführung? Gibt es Lösungen für konkrete Probleme oder Härtefälle? Diese Fragen diskutieren wir im Forum.
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