Darum geht es: Nemo hat nach dem Sieg am Eurovision Song Contest mehr Akzeptanz und Rechte für nichtbinäre Menschen gefordert, darunter etwa die Möglichkeit, beim Geschlechtseintrag eine dritte Option auswählen zu können. Das Schweizer Musiktalent, das sich weder mit dem männlichen noch mit dem weiblichen Geschlecht identifiziert, stellte diese Forderung nach dem Sieg mehrfach in den Raum. Nemo hat angekündigt, sich mit Justizminister Beat Jans treffen zu wollen.
Die nichtbinäre Community freut’s: Nemos Sieg sei sehr symbolträchtig, sagt Sandro Niederer, Geschäftsführer von «Transgender Network Switzerland». Nemo beschreibe in dem Song «The Code» die Reise einer nichtbinären Person mit dem Thema Geschlecht in der Gesellschaft. «Und dass das sichtbar wird, ist etwas sehr Wertvolles für unsere Community.» Die grosse Sichtbarkeit, die Nemo generiert habe, ermögliche einen Diskurs und «auch Forderungen anzubringen zur Gleichstellung von nichtbinären Menschen in der Schweiz».
Was gefordert wird: Zurzeit müssten nichtbinäre Personen bei ihrem Geschlechtseintrag zwischen weiblich und männlich wählen, so Niederer. Diese Regel erlaube es den Personen nicht, ihre Geschlechtsidentität adäquat festhalten zu lassen. Nichtbinäre Menschen würden dadurch diskriminiert. Erst wenn diese und weitere Diskriminierungen nichtbinärer Personen aufhörten, würden die Grundrechte aller Personen anerkannt sein, so Niederer.
Die Gegenposition: «Nemo kann so leben, wie er möchte und sich so fühlen, wie er möchte. Das sollte in der Freiheit jedes Einzelnen sein», sagt die Zürcher Nationalrätin Barbara Steinemann von der SVP. Die Grundrechte würden für alle Menschen gelten, «egal ob Mann oder Frau oder sie sich einem dritten Geschlecht zugehörig fühlen». Auch deshalb hält sie die Forderung nach einem dritten Geschlecht in amtlichen Dokumenten für überflüssig. Zudem glaubt sie: «Nach dem dritten Geschlecht würde wahrscheinlich ein viertes und ein fünftes Geschlecht gefordert, weil diese würden sich dann auch diskriminiert fühlen», so Steinemann.
Weitere Problemstellungen: Aus den Forderungen der nichtbinären Community und deren Vertretern würden sich zudem viele offene Fragen ergeben, etwa wenn sich eine Person im Sport nicht mehr dem biologischen Geschlecht zugehörig fühlen würde. Aber auch in Bereichen wie dem Militär, der Rente, dem Familienstatus oder bei den Spitälern seien mögliche Probleme erkennbar. Diese seien in der Rechtskommission des Nationalrats diskutiert worden: «Wie man das dann lösen möchte, das steht völlig in den Sternen.»
Die Position der Landesregierung: Der Bundesrat hat sich im Dezember 2022 in einem Bericht gegen die Einführung eines dritten Geschlechts oder den Verzicht auf den Geschlechtseintrag gestellt. Das binäre Geschlechtermodell sei in der schweizerischen Gesellschaft nach wie vor stark verankert, teilte der Bundesrat damals mit. Vor einem neuen Geschlechtsmodell brauche es zuerst einen gesellschaftlichen Diskurs. Zudem hätte eine Änderung weitreichende Konsequenzen, etwa müsste die Bundesverfassung geändert werden.