Den Schritt in eine neue Identität machte Kim Eglin in einer Kaffeebar. Nicht länger eine Frau, aber auch kein Mann. Irgendetwas dazwischen. Kim gab an der Kasse den neuen, selbstgewählten Namen an. «Ein schönes Gefühl, als mein neuer Name ausgerufen wurde», erinnert sich Kim.
Kim ist eine non-binäre Person. Das sind Menschen, die sich nicht auf das männliche oder weibliche Geschlecht festlegen. Laut einer britischen Studie machen sie 0.4 Prozent der Bevölkerung aus.
Kim ist 32-jährig, hat beim Rettungsdienst gearbeitet, lebt in einer WG in Winterthur und hat vier Beziehungen gleichzeitig, «ich lebe polyamor», sagt Kim. Einer der «Beziehungsmenschen» sei ebenfalls non-binär.
Kims Mutter brauchte Zeit, um sich an den Umgang mit einem non-binären Familienmitglied zu gewöhnen. Andrea Eglin: «Am Anfang war es für mich schwierig, damit umzugehen. Zuerst sollte ich zu meinem Kind ‹sie› sagen, dann ‹er›. Jetzt darf man weder ‹sie› noch ‹er› sagen. Was darf man überhaupt noch sagen?»
Kein Pass mit drittem Geschlecht
Non-Binäre stören sich daran, dass sie keinen eigenen Eintrag im Pass haben dürfen, zum Beispiel ein «X», so wie das im Nachbarland Deutschland möglich ist. Der Bundesrat entschied sich im letzten Dezember dagegen. Die Begründung unter anderem: Die Gesellschaft sei nicht bereit für die Einführung eines amtlichen dritten Geschlechts.
Dagegen wehrt sich Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan. Die Rechtskommission überwies ihren Vorstoss, die Regierung solle sich überlegen, wie sie die Lage der Non-Binären verbessern könne. SVP-Nationalrat Mauro Tuena hält dagegen: «Das betrifft nur ganz, ganz wenige.» Für die Registrierung eines dritten Geschlechts bräuchte es eine Verfassungsänderung. Tuena: «Dieser Aufwand steht in keinem Verhältnis.»
Aufgeheizte Stimmung
Die SVP macht die Genderdebatte zum Wahlkampfthema und spricht von «Gender-Terror» und «Woke-Wahnsinn». Bereits alt Bundesrat Ueli Maurer sorgte mit einer Äusserung zu non-binären Personen für Kritik.
Die Stimmung zum Thema Geschlechtsidentität ist aufgeheizt. Gewalt und Diskriminierung gegenüber LGBTIQ hat im vergangenen Jahr um 50 Prozent zugenommen. Dies belegt der «Hate Crime Bericht» der LGBTIQ-Helpline. Trans Personen seien überdurchschnittlich von Gewalt und Pöbeleien betroffen, heisst es im Bericht. Besonders der Anteil von non-binären Personen unter den Opfern habe stark zugenommen, von 14 auf 24 Prozent.
Alecs Recher sieht einen Zusammenhang mit der politischen Bewirtschaftung der Genderdebatte. «Der feindliche Diskurs schadet», sagt Recher. «Das ist der Nährboden für Angriffe. Er führt dazu, dass Menschen sich verstecken und nicht mehr hinaus trauen.»
Toiletten für Trans-Personen
Wenn Kim Eglin mit einer ihrer «Beziehungspersonen» durch Zürich geht, dann nie Hand in Hand. «Die Menschen lesen mich weiblich. Eine Person, die gewaltbereit ist, wird mich nicht bemerken. Das ist mein Schutz.»
Kim wünscht sich von der Gesellschaft mehr Toleranz. Die non-binäre Person wehrt sich. Zum Beispiel bei Online-Händlern, die Kim mit «Frau» anschreiben. Oder bei Toilettenanlagen, wo es nur Kabinen für Männer und Frauen gibt. Derzeit benutzt Kim beide und verlangt eigene Toiletten für Trans-Menschen. Und wenn das nicht geht, müsse man die Geschlechts-Schilder abschrauben. «Dann gehen halt alle Personen auf alle Toiletten, alle gemischt», sagt Kim.