Es gibt Menschen, die weder Mann noch Frau sind. Die also anatomisch, genetisch oder hormonell nicht eindeutig einem Geschlecht zuweisbar sind – so genannt Intergeschlechtliche.
Eine dieser Personen ist Julian*. Bei der Geburt in der Schweiz wurde Julian als Mädchen registriert. Julian fühlt sich aber weder als Mann noch als Frau, ist also nicht nur intergeschlechtlich, sondern auch non-binär.
Inzwischen lebt Julian in Berlin und hat dort die Geschlechtsangabe aus dem Register streichen lassen. In Deutschland ist das möglich.
In der Schweiz nicht. Zwar kann man seit Januar 2022 relativ unkompliziert «männlich» zu «weiblich» ändern und umgekehrt. Aber die Geschlechtsangabe leer lassen – das geht nicht. Julian wehrte sich gerichtlich dagegen, dass die Schweiz die Änderung aus Deutschland nicht nachtrug. Das Obergericht des Kantons Aargau gab Julian recht und ordnete die Streichung der Geschlechtsangabe im schweizerischen Personenstands- und Geburtsregister an.
Bundesgericht: Gesetzeslage ist belastend
Dem Bundesamt für Justiz behagte es nicht, dass die Kantone die Frage unterschiedlich handhaben könnten. Es zog das Urteil deshalb weiter ans Bundesgericht, um die Frage höchstrichterlich klären zu lassen. Wegen der Rechtssicherheit, wie es auf Anfrage mitteilt.
Heute Donnerstag hat das Bundesgericht einstimmig entschieden, dass die Schweiz die Leerlassung des Geschlechts nicht nachtragen muss. Es hat die Beschwerde des Bundesamtes für Justiz gutgeheissen. Die Schweiz muss also das dritte Geschlecht aus anderen Rechtsordnungen nicht anerkennen. Das Gericht verwies dabei auf den eindeutigen Willen des Schweizer Gesetzgebers, der bewusst nur zwei Geschlechter will. Das Gericht müsse die Gewaltenteilung respektieren.
An der öffentlichen Beratung machten die Richterinnen und Richter aber deutlich: Obwohl das Gesetz nur männlich und weiblich kenne, sei Intergeschlechtlichkeit eine Realität. Und für die Betroffenen sei die Gesetzeslage belastend.
Politische Diskussion geht weiter
Laut Bundesrichter Felix Schöbi (gewählt auf Vorschlag der damaligen BDP), der die öffentliche Beratung beantragt hatte, ist die heutige Rechtslage alles andere als befriedigend. Die Diskussion könne mit dem heutigen Urteil nicht als abgeschlossen gelten. Das Gericht spielt damit den Ball der Politik zu.
Der Bundesrat hat sich explizit gegen ein drittes Geschlecht ausgesprochen. Nicht nur müssten zu viele rechtliche Regeln geändert werden – beim Militärdienst und den Renten etwa – es seien auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen derzeit nicht gegeben.
Die Kommission für Rechtsfragen hat den Bundesrat daraufhin beauftragt, Vorschläge zu machen, wie die Situation von nicht binären Personen verbessert werden könnte – ohne Einführung eines dritten Geschlechts. Die Diskussion auf politischer Ebene geht also weiter.
Auch hat der Anwalt von Julian angekündigt, eine Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu prüfen. Dort ist vor dem Panel ein Fall aus Frankreich hängig, bei dem es um das Recht auf ein drittes Geschlecht geht (die erste Kammer hatte ein solches Recht verneint). Auch juristisch drehen die Mühlen also weiter. Oder um es mit den Worten von Bundesrichter Felix Schöbi zu sagen: Das letzte Wort ist nicht gesprochen.
*Name geändert