Der Bundesrat will keine dritte Geschlechtskategorie im Personenstandsregister einführen. Dafür seien die gesellschaftlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Das Gleiche gelte für die Varianten, den Geschlechtseintrag offenzulassen oder ganz abzuschaffen. Weiterhin muss sich also jede Person als entweder «männlich» oder «weiblich» kategorisieren.
Das hält die Nationale Ethikkommission für Humanmedizin (NEK) für die schlechteste aller diskutierten Lösungen. Erstaunlich: Denn der Bundesrat bezieht sich in seiner Mitteilung explizit auf die NEK. Deren Präsidentin Andrea Büchler erklärt, dass die Kommission tatsächlich Handlungsbedarf sieht.
SRF News: Warum hält die Ethikkommission den Entscheid des Bundesrats für falsch?
Andrea Büchler: Die Ethikkommission hat 2020 eine Stellungnahme verfasst, in der sie die verschiedenen Optionen evaluiert. Dort hat sie festgehalten, dass die heutige Regelung der Vielfalt der Geschlechtsidentitäten nicht genügend Rechnung trägt.
Die Ethikkommission ist klar der Meinung, dass die jetzige Situation unbefriedigend ist und eine Reaktion erfordert.
Sie lässt fundamentale Interessen von Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität ausser Acht. Das gilt es laut der Ethikkommission zu korrigieren und es gibt dafür verschiedene Optionen.
Das ist verwunderlich. Denn der Bundesrat bezieht sich in seiner Medienmitteilung explizit auf die Ethikkommission und zitiert diese sogar. Wie passt das zusammen?
Die Stellungnahme der Ethikkommission ist einsehbar. Der Bezug ist vor allem dort gegeben, wo die gesellschaftliche Diskussion ins Spiel kommt. Auch die Ethikkommission ist der Ansicht, dass eine Aufgabe des binären Geschlechtermodells weitreichende Folgen hätte.
Entsprechend plädiert sie für ein mehrstufiges Vorgehen, begleitet durch eine intensive gesellschaftliche Debatte. Hier bestehen durchaus Bezüge zwischen den Stellungnahmen der Ethikkommission und des Bundesrates. Die Ethikkommission ist aber klar der Meinung, dass die jetzige Situation unbefriedigend ist und eine Reaktion erfordert.
Sie plädieren für ein mehrstufiges System. Stufe 1 wäre folglich laut Bundesrat Abwarten. Haben Sie kein Verständnis dafür, dass der Bundesrat zuwarten will?
Die heutige Situation ist nicht länger tragbar. Die Ethikkommission hat dafür plädiert, dass in einem ersten Schritt die gesetzliche Grundlage für eine dritte Eintragungsmöglichkeit geschaffen werden soll. Das wäre eine substanzielle Verbesserung gegenüber der aktuellen Situation. Es würde eine Möglichkeit schaffen, sich ausserhalb der Mann-Frau-Binarität eintragen zu lassen. Damit würde die eigene geschlechtliche Identität Anerkennung finden.
Die Ethikkommission kommt in ihrem Bericht zum Schluss, dass eine allgemeine Abschaffung des Geschlechtseintrags die ethisch vorzugswürdigste Variante wäre.
Eine dritte Eintragungsmöglichkeit löst aber nicht alle Probleme, insbesondere das Diskriminierungsproblem. Jedenfalls nicht vollständig und nicht zufriedenstellend. Deshalb empfiehlt die Ethikkommission gleichzeitig einen Prozess anzustossen, der eine vertiefte Prüfung der allgemeinen Abschaffung des Geschlechtseintrags zum Gegenstand hat.
Der Fahrplan wäre also: Zuerst eine dritte Geschlechterkategorie schaffen und dann den Geschlechtereintrag ganz abschaffen?
Zunächst würde eine gesetzliche Grundlage für die dritte Eintragungsmöglichkeit geschaffen. Gleichzeitig gäbe es eine vertiefte Diskussion darüber, wie eine allgemeine Abschaffung des Geschlechtseintrags aussehen könnte. Die Ethikkommission kommt in ihrem Bericht zum Schluss, dass eine allgemeine Abschaffung des Geschlechtseintrags die ethisch vorzugswürdigste Variante wäre.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.