Im September wurde publik, dass kommerzielle Unterschriftensammelnde
Namen und Unterschriften auf den Sammelbögen für Initiativen gefälscht
haben. Die Aufregung in den Medien war gross, die Bevölkerung reagierte gelassen. Ein Betriebsunfall halt. Auch in der Wort-des-Jahres-Jury hielt sich die Begeisterung für das Wort «Unterschriften-Bschiss» zunächst in Grenzen.
Je länger aber diskutiert wurde, umso dringlicher sei der Begriff geworden, so Autor Max Küng und Slam-Poetin Moët Liechti, zwei der zehn diesjährigen Jurymitglieder, nach der Jurysitzung. Und so wurde «Unterschriften-Bschiss» am Ende zum Wort des Jahres 2024 gewählt.
«Wort des Jahres»: So funktioniert die Wahl
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Das Wort des Jahres gibt es in der Deutschschweiz seit 2003. Bis 2016 wurde es vom «Büro Wort des Jahres» bestimmt. Seit 2017 ermittelt die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) das Wort des Jahres.
Welche Wörter kommen infrage?
Sprachforscherinnen und Sprachforscher des Departements Angewandte Linguistik der ZHAW erstellen eine Liste mit einigen Dutzend Wortkandidaten. Grundlage für diese Liste sind erstens die Analyse des Textkorpus «Swiss-AL», eine Sammlung von digitalen Texten mit rund 1.3 Milliarden Wörtern, zweitens Einsendungen aus der Bevölkerung und drittens Vorschläge der Jury-Mitglieder. Die Jury besteht aus Sprachprofis aus Journalismus, Kunst und Wissenschaft.
Wer wählt die Siegerwörter aus?
Die Jury wählt unter Berücksichtigung der ihr vorgelegten «Longlist» die drei Siegerwörter. Dabei sollen sie darauf achten, dass die Wörter Themen widerspiegeln, welche in der Deutschschweiz im ablaufenden Jahr zu reden gegeben haben. Auch die Wörter selber sollen einen Schweizbezug haben. Dasselbe Prozedere wird parallel in allen Landessprachen mit je eigener Jury durchgeführt.
Begriff mit Tiefenwirkung
Risse in der Schweizer Demokratie? In der Tat. Mit dem Sammeln von Unterschriften Geld zu verdienen, wirkt allein schon undemokratisch. Denn mit der Unterschrift auf einem Sammelbogen nimmt man schliesslich aktiv am politischen Prozess der Schweiz teil. Und jetzt könnte es plötzlich sein, dass wir über Initiativen abgestimmt haben, die ohne den Betrug gar nicht zustande gekommen wären.
Deutsch: Unterschriften-Bschiss, divers, Murgang
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Platz 1: Unterschriften-Bschiss
Auf Sammelbögen für Volksinitiativen sollen kommerzielle Unterschriftensammelnde Unterschriften und Identitäten gefälscht haben. Das sorgte dieses Jahr für Misstrauen gegenüber dem demokratischen Schweizer Abstimmungssystems und zur Forderung nach sichereren Methoden zur Unterschriftensammlung.
Platz 2: divers
Im kleinen Wort «divers» verdichten sich gleich mehrere grosse Diskussionen, die die Schweiz dieses Jahr geführt hat. Allen voran haben die Diskurse um Geschlechterdiversität und Biodiversität die Frage ins Zentrum gerückt, wie divers unsere öffentlichen und privaten Lebensbereiche sein sollen.
Platz 3: Murgang
Der Klimawandel ist weltweit spürbar – auch in der Schweiz. In Bergregionen hat er sich dieses Jahr mit zahlreichen Murgängen bemerkbar gemacht. In verschiedenen Ortschaften ist es zu Schuttströmen gekommen und Brienz musste bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre evakuiert werden, weil erneut ein Steinschlag das Dorf bedroht.
Der Unterschriften-Bschiss stellt uns vor die ungemütliche Frage, ob die Schweiz wirklich die uneinnehmbare Demokratiebastion ist, auf die wir so stolz sind.
«Divers» – das Universum der Verschiedenheit und der Vielheit
«In diesem kurzen Wort steckt das ganze Universum der Diversität drin», erläutert Jurypräsidentin Marlies Whitehouse, warum «divers» auf Rang 2 gewählt wurde. In der italienischsprachigen Schweiz kam «non binario» (non-binär) sogar auf Platz 1. «Divers» umfasse aber weit mehr als die Geschlechtsidentität, so Whitehouse. Zwar war Nonbinarität mit Nemo und dem Sieg im ESC in aller Munde. Aber auch die Biodiversität, über die viel diskutiert und abgestimmt wurde, gehöre dazu. Und damit die Grundfrage, wie wir als Gesellschaft mit dem Anderssein und mit der Vielfalt umgehen.
Der Krieg im Nahen Osten und in der Ukraine prägte die Berichterstattung in der Romandie. Beinahe allgegenwärtig war deshalb der Begriff «Waffenstillstand». In die Tat umgesetzt wurde ein «Waffenstillstand» nur selten, obwohl es der Bevölkerung in den Kriegsgebieten eine Verschnaufpause ermöglicht hätte und, so die Jurybegründung, Voraussetzung für Frieden wäre.
Platz 2: consentement (Einverständnis)
Einverständnis werde aktiv geäussert und beruhe auf einem Vertrauensverhältnis zwischen mehreren Personen. Der Begriff «consentement» sei durch die Vergewaltigungsprozesse in Mazan in Frankreich zu einem Symbol im Kampf gegen häusliche und sexualisierte Gewalt gegen Frauen geworden. Mit der Wahl wolle die Jury den Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft unterstreichen.
Platz 3: quoicoubeh (unübersetzbar; Wortspiel)
Schon vor 2024 ist «quoicoubeh» in den Sozialen Medien aufgekommen. Dieses Jahr hat das Sprachspiel allerdings geboomt: Auf die Frage «quoi?» hörte man dieses Jahr deshalb häufig ein «quoicoubeh» – und ein Lachen. Das Sprachspiel funktioniert so, dass «quoi» wie «coup A» klingt und man daran ein pseudologisches «coup B» hängt. Das ergibt «quoicoubeh».
Lange sei über das Wort «Schuttstrom» debattiert worden, gaben die Jurymitglieder nach ihrer Sitzung preis. Dagegen sprach erstens, dass das Wort vor allem letztes Jahr gebraucht wurde, im Zusammenhang mit der Gerölllawine bei Brienz (GR). Zweitens fasse «Murgang» eine ganze Serie jüngster Erdrutsche im Alpenraum zusammen, etwa im Misox, bei Schwanden, in Vitznau oder im Saastal.
Italienisch: non-binär, Wetteralarm, Nomophobie
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Platz 1: non binario (non-binär)
Im Mai gewann Nemo als erste non-binäre Person den Eurovision Song Contest (ESC). Spätestens in der Folge sei der Begriff «non binario» allgegenwärtig gewesen. «Non binario» bezeichnet Geschlechtsidentitäten, die ausserhalb der binären Geschlechterordnung Mann – Frau stehen. Darüber hinaus stelle «non binario» die dualistische Weltsicht in Frage, löse starre Dichotomien wie wahr-falsch auf und ersetze sie durch die Komplexität menschlicher Erfahrung.
Platz 2: allerta meteo (Wetteralarm)
Mit der Wahl «Wetteralarm» unterstreiche die Jury die Notwendigkeit, sich mit Umweltfragen zu beschäftigen und eine nachhaltigere Klimapolitik zu betreiben. Denn die Extremwetterereignisse – die Überschwemmungen in Misox, im Maggiatal, im Wallis und in anderen Gegenden und auch Ländern – führten nicht nur zu einem «allerta meteo» auf dem Handy, sie unterstreichen auch Mal für Mal die Dringlichkeit des Klimawandels.
Platz 3: nomofobia (Nomophobie; «No-Mobile-Phone-Phobia»)
«Nomofobia» ist eine Abkürzung des englischen «No-Mobile-Phone-Phobia». Das Wort kennzeichnet die Angst, von seinem Mobiltelefon getrennt zu sein. Diese Angst könne sich in panikartigen Reaktionen zeigen und sie nehme weltweit zu.
Auch wenn jeweils drei Wörter gekürt werden: Die Debatten eines ganzen Jahres können damit nicht abgedeckt werden. So fehlen zum Beispiel die oft genannten Wörter «Klimaseniorinnen» oder «Genozid» (in Gaza). Immerhin das Thema «Nahostkonflikt» nimmt die Jury der Romandie auf, indem sie «Cessez-le-feu» (Waffenruhe) zum französischen Wort des Jahres wählte.
Rätoromanisch: Zweitheimische:r vor Altersdiskriminierung
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Platz 1: segundimorant:a (Zweitheimische:r)
Das Wort 2024 greift die Wohnraumthematik in den Alpentälern auf. In Bündner Tourismusorten führt das Verhältnis der einheimischen Bevölkerung zu Zweitwohnungsbesitzenden immer wieder zu grossen Diskussionen. Durch die zunehmende Zahl von Zweitwohnungen wird zum einen bezahlbarer Wohnraum für Einheimische immer knapper, zum andern intensiviert sich auch die Diskussion um die Rechte und Pflichten von «Zweitheimischen».
Platz 2: vegliadissem (Altersdiskriminierung)
Das Alter war 2024 immer wieder Teil des öffentlichen Diskurses, etwa im Zusammenhang mit eidgenössischen Abstimmungen (Renteninitiative, BVG-Reform). Aber auch auf internationaler Ebene spielte Altersdiskriminierung eine Rolle, etwa durch das negative Bild, das von Joe Biden in den Medien gezeichnet wurde, als er noch Präsidentschaftskandidat war. Im Rätoromanischen ist vegliadissem eine Neuschöpfung, ein Kofferwort aus vegliadetgna «Alter» und der Endung -issem (wie bei rassissem «Rassismus»)
Platz 3: festivitads (Feierlichkeiten)
Das Vorurteil, dass die Bündnerinnen und Bündner gerne feiern, hat sich dieses Jahr bestätigt: 2024 war ein Jahr der Jubiläen in Graubünden. Im ganzen Kanton wurden «500 Jahre Freistaat der Drei Bünde» gefeiert; Trun gedachte der «600 Jahre Grauer Bund»; die «Uniun dals Grischs (UdG)», eine Vereinigung für die Erhaltung und Förderung der romanischen Sprache und Kultur des «Ladins» im Engadin, Münstertal und Bergün, wurde 120 Jahre alt; den Vereina-Tunnel gibt es seit 25 Jahren und General Suworow überquerte vor 225 Jahren den Panixer-Pass.
Relevant und mit Schweizbezug
Auf den ersten Blick mögen die drei deutschen Wörter des Jahres unspektakulär wirken. Es sind keine Reizwörter und sie beziehen sich nicht auf gehypte Einzelereignisse. Dafür erfassen sie grössere Zusammenhänge und längerfristige Umbrüche: Angriffe auf die Demokratie, die Notwendigkeit von Diversität und das sich verändernde Klima sind hochrelevante Themen für uns alle.
Darüber hinaus löst «Unterschriften-Bschiss» das Versprechen ein, dass das Wort des Jahres eine Zeitkapsel sein soll, mit deren Hilfe man rückblickend das Jahr 2024 identifizieren kann. «Bschiss» als Mundartwort und «Murgang» als Helvetismus erfüllen auch formal die Vorgabe, dass die Wörter des Jahres einen klaren Schweizbezug haben sollen.
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